Kassel (epd). Selbstständige Hartz-IV-Aufstocker können auch bei einer verpassten Jobcenter-Frist zum Einreichen von Unterlagen über die Betriebseinnahmen und -ausgaben ihren Arbeitslosengeld-II-Anspruch noch sichern. Reichen sie die Papiere erst verspätet mit einer Klage vor Gericht nach, darf die Hilfeleistung nicht versagt und das bislang vorläufig gezahlte Arbeitslosengeld II nicht zurückgefordert werden, urteilte am 29. November das Bundessozialgericht (BSG). In zwei weiteren Urteilen klärten die Kasseler Richter die Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung bei vorzeitiger Beendigung einer Berufsfördermaßnahme sowie einen Erstattungsanspruch des Jobcenters, wenn dem Hartz-IV-Bezieher innerhalb eines Monats auch für einige Tage Arbeitslosengeld I bewilligt wurde.
Im ersten Verfahren ging es um eine selbstständige Grafikdesignerin aus Hamburg, die vom 1. April bis 30. Juni 2017 zur Deckung ihres Lebensunterhalts auf aufstockende Hartz-IV-Leistungen angewiesen war.
Üblicherweise erhalten selbstständige Hartz-IV-Aufstocker wegen unregelmäßiger Einkünfte zunächst nur vorläufig Arbeitslosengeld II. Beim Jobcenter müssen sie eine Prognose über ihre betrieblichen Einnahmen abgeben. Legen sie später dann die tatsächlichen Betriebseinnahmen und -ausgaben vor, kann die Behörde einen abschließenden Arbeitslosengeld-II-Bescheid erstellen. Liegen bei dem Selbstständigen zu hohe Einnahmen vor, muss er zu viel erhaltenes Arbeitslosengeld II zurückzahlen.
Um das Arbeitslosengeld II bei der Frau abschließend bestimmen zu können, forderte das Jobcenter die Vorlage von Nachweisen über die Betriebseinnahmen und -ausgaben. Meist gewährt die Behörde hierfür eine Frist von zwei Monaten.
Doch die Grafikdesignerin kam dem zunächst nicht nach. Das Jobcenter setzte wegen der verpassten Frist daraufhin per Bescheid den Arbeitslosengeld-II-Anspruch auf null fest, um so später die bereits gewährte Zahlung zurückfordern zu können. Erst im Klageverfahren legte die Frau vor Gericht die Nachweise über ihre Betriebseinnahmen und -ausgaben vor. Danach hatte sie nur im Monat April 570 Euro verdient.
Das Jobcenter hielt das für zu spät. Die Frau habe mit der versäumten Frist ihre Mitwirkungspflicht verletzt, so dass sie keinen Anspruch auf die Hilfeleistung habe, so die Argumentation. Es sei zu spät, wenn die geforderten Unterlagen erst im Klageverfahren eingereicht werden, meinte die Behörde. Nach dem Gesetz dürfe sie bei zu spät eingereichten Unterlagen die Hilfeleistung gänzlich versagen. Allein in Hamburg sind nach Angaben des Jobcenters etwa 300 vergleichbare Klagen wegen Fristversäumnissen anhängig.
Das Landessozialgericht Hamburg urteilte, dass der Frau Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 637 Euro zustehe. Auch das BSG gab der Frau recht. Zwar müsse eine Verwaltung abschließend über einen Arbeitslosengeld-II-Anspruch entscheiden können. Hierfür dürfe die Behörde auch Fristen setzen. Allerdings lege hier die maßgebliche gesetzliche Bestimmung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht eindeutig fest, dass verspätet eingereichte Belege einen gänzlichen Verlust der Hilfeleistung zur Folge haben können. Über die Folgen verpasster Fristen müsse aber „Rechtsklarheit“ herrschen. Der Klägerin dürfe daher wegen der erst im Klageverfahren nachgereichten Unterlagen nicht die Leistung versagt werden. Der Gesetzgeber hat auch beim kommenden „Bürgergeld“ die vom BSG beanstandete unklare Formulierung in den Vorschriften übernommen.
In einem weiteren Verfahren mahnten die obersten Sozialrichter eine konkrete Rechtsfolgenbelehrung an, wenn Arbeitslose die Teilnahmevereinbarung für eine von der Bundesagentur für Arbeit veranlasste Arbeitsförderungsmaßnahme nicht unterzeichnen und diese einfach grundlos abbrechen. Im Streitfall hatte die Arbeitsagentur bei dem Kläger deshalb eine dreiwöchige Sperrzeit auf sein Arbeits-losengeld I verhängt.
Doch das war rechtswidrig, befand das BSG. Denn in der Rechtsmittelbelehrung hätte eindeutiger auf die drohende Sperrzeit hingewiesen werden müssen. So gebe es darin keinen Hinweis auf die Frage, für welche konkreten Tage der Zahlungsanspruch entfallen würde. Die Formulierung „vom Tag nach ...“ hätte bereits ausgereicht und „das sperrzeitbegründende Ereignis hinreichend konkretisiert“.
Erhalten Arbeitslose in einem Monat sowohl für einige Tage Hartz-IV-Leistungen als auch Arbeitslosengeld I, können sie keine taggenaue Abrechnung der Geldzuflüsse verlangen, entschied das BSG in dem dritten Fall. Das Jobcenter könne das ausgezahlte Arbeitslosengeld I voll als Einnahme auf die Hartz-IV-Leistungen mindernd anrechnen.
Im konkreten Fall ging es um einen Auszubildenden, der bis zum Ende seiner Ausbildung im Juni 2015 aufstockende Hartz-IV-Leistungen erhalten hatte. Danach wurde ihm wegen Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld I bewilligt. Die Auszahlung in Höhe von 527 Euro wurde ihm jedoch für den Monat Juni verweigert. Da er in dem Monat auch Hartz IV erhalten habe, stehe dem Jobcenter ein Erstattungsanspruch zu. Es gelte das sogenannte Zuflussprinzip. Weil der Kläger das Arbeitslosengeld I noch Ende Juni erhalten habe, müsse es auf die im selben Monat erhaltene Hilfeleistung des Jobcenters mindernd angerechnet werden. Entscheidend sei, welche Einkünfte der Kläger in einem Monat erhalten habe. Eine taggenaue Trennung zwischen Arbeitslosengeld I und II sei nach dem Gesetz nicht vorgesehen.
Az.: B 4 AS 64/21 R (Bundessozialgericht Hartz IV-Aufstocker Fristen)
Az.: B 11 AL 33/21 R (Bundessozialgericht Rechtsfolgenbelehrung Qualifikationsmaßnahme)
Az.: B 11 AL 12/21 R (Bundessozialgericht Arbeitslosengeld I)