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Armut

"Fahrende Ärzte" greifen Tafel unter die Arme




"Fahrende Ärzte" verteilen bei der Kasseler Tafel Mahlzeiten
epd-bild/Helga Kristina Kothe
Die Lebensmittelspenden sind knapper geworden. Deshalb unterstützt ein Kasseler Verein die Tafel und gibt dreimal in der Woche kostenlose Mittagsmenüs an die Kunden aus.

Kassel (epd). Die Schlange vor dem Haus ist lang. Viele warten seit dem Morgen, um für wenig Geld eine mit Lebensmitteln gepackte Tüte bei der Tafel in Kassel zu holen. An diesem Mittag hängt der Duft von Gulasch und Kartoffelstampf im Raum. An jeden Tafelkunden geben die „Fahrenden Ärzte Kassel“ zwei warme Menüs aus, die nichts kosten und besonders an kalten Tagen sehr willkommen sind.

„Ohne die Tafel würden wir nicht auskommen“

Seit dem Start des Projekts Anfang August wurden über 5.000 Mahlzeiten verteilt, pro Woche 320. Bis Ende des Jahres sei die Finanzierung gesichert, wie es weitergehe, hänge von Spenden ab, sagt Dagmar Dobischat vom Vorstand, die das Essen mit ihrem Sohn Timo verteilt.

An diesem Montag werden bei der Tafel Flüchtlinge aus der Ukraine versorgt. Gekommen ist auch Elena mit ihrem Sohn Swatlav. Sie sind Anfang März vor dem Krieg aus Irpin geflüchtet. „Das Essen schmeckt super“, sagt der 17-Jährige. „Ohne die Tafel würden wir nicht auskommen. Wir sind sehr dankbar“, ergänzt die Mutter der sechsköpfigen Familie.

Die Idee, warme Mahlzeiten für Bedürftige zu kochen oder auszugeben, hatten die „Fahrenden Ärzte“, als sie hörten, dass die Tafel immer weniger Lebensmittelspenden erhält. „Wir wollen nicht nur medizinische Hilfe für Bedürftige leisten, sondern auch humanitäre“, sagt Dagmar Dobischat. Mit Blick auf die Kriegsflüchtlinge hofft sie, damit einen Beitrag in für sie schwierigen Zeiten leisten zu können.

Die stellvertretende Vorsitzende der Kasseler Tafel, Helga Schmucker-Hilfer, führt aus, dass Lebensmittelspenden seit der Pandemie rückläufig seien. So sehr, dass der Dachverband Tafel Deutschland sogar Lebensmittelzukäufe, finanziert durch Spenden, toleriere. „Strategien zur Vermeidung von Überschüssen im Handel machen sich bei uns bemerkbar“, sagt sie.

180 Personen auf der Warteliste

Für die Tafel erschwert das die Versorgung: Nach eigenen Angaben hat sie 1.250 Berechtigungskarten an Bedürftige vergeben, weitere 500 an Ukraine-Flüchtlinge. Dahinter stehen fast 4.500 Menschen, die auf die Hilfe der Tafel angewiesen sind. Rund 180 Personen stünden auf der Warteliste, so Helga Schmucker-Hilfer. Vor allem die Zahl der Rentner und Alleinerziehenden unter ihnen nehme zu.

Auch andere Tafeln geben warmes Essen aus, etwa die Tafel Nürnberg. Vor einem Jahr hat sie begonnen, in ihrer neuen Suppenküche aus gespendeten Lebensmitteln einmal in der Woche für Bedürftige zu kochen. „Mittlerweile können Tafelkunden von Montag bis Freitag zu uns kommen und erhalten für 1,50 Euro ein warmes Mittagessen“, berichtet Leiterin Edeltraud Rager.

Bei der Wetzlarer Tafel, eine Einrichtung der Evangelischen Kirchengemeinde Niedergirmes, gibt es seit fast elf Jahren die „Gesegnete Mahlzeit“. Für das Menü zahlen Menschen mit schmalem Geldbeutel 3,50 Euro, der Normalpreis beträgt 4,50 Euro. Pro Woche würden etwa 90 Mahlzeiten ausgegeben, davon 75 an Bedürftige, deren Essen die Kirchengemeinde bezuschusse, sagt Tafel-Mitarbeiter Dirk Jakob. Während die Nachfrage dort gleich bleibt, sind die Tafelgäste mehr geworden: „Seit Januar wurden 980 neue Bedarfsgemeinschaften registriert, darunter 600 Ukraine-Flüchtlinge“, so Jakob.

Es fehlen Lebensmittel, Ehrenamtliche oder Räume

Auch in Nürnberg steigt die Zahl der Neukunden: „Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich unsere Kundenzahl fast verdoppelt. Derzeit haben wir einen Stand von 9.500 Kunden“, sagt Edeltraud Rager. Es kämen immer mehr Menschen, die bislang gerade so über die Runden gekommen seien, jetzt aber durch steigende Lebenshaltungskosten diesen Weg gehen müssten.

Bundesweit verteilen rund 960 Tafeln Lebensmittel an Bedürftige, die nicht mehr verkauft werden können. Laut der Tafel Deutschland werden derzeit rund zwei Millionen Menschen versorgt, so viele wie nie zuvor. Etwa ein Drittel der Tafeln könne nicht allen helfen. Es fehlten Lebensmittel, Ehrenamtliche oder Räume.

Von der Politik erwarte der Verband unter anderem armutsfeste Regelsätze. Das Bürgergeld sei ein Schritt in die richtige Richtung, aber 503 Euro mehr reichten nicht aus. „Wir helfen jetzt in der Krise nach Kräften, aber wir sind kein Teil des sozialstaatlichen Systems“, betont Verres. Tafeln dürften nicht als notwendige und selbstverständliche Existenzhilfe gesehen werden.

Helga Kristina Kothe


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