

Frankfurt a.M. (epd). Die Tafeln sind gefordert. Katja Bernhard vom Vorständin der Tafeln in Hessen berichtet: „Die Zahl der Kunden nimmt zu, die Betriebskosten steigen drastisch, die Lebensmittelspenden von Händlern und Supermärkten gehen zurück.“ Dennoch sagt sie: „Wir sind zuversichtlich, die Herausforderungen zu meistern.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Weniger Lebensmittelspenden, mehr Klienten und erste Fälle von Aufnahmestopps: Die Tafeln scheinen zum Teil bereits am oder schon über ihrem Limit zu arbeiten. Wie ist die Lage in Hessen?
Katja Bernhard: Auch die Tafeln in Hessen stehen vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Tafel-Kunden nimmt weiter zu, die Betriebskosten steigen drastisch, die Lebensmittelspenden von den Händlern und Supermärkten gehen zurück. Über 6.000 überwiegend ehrenamtlich Helfende arbeiten am Limit bei ihrem Einsatz mit Kraft, Zeit und psychischen Belastungen. Wir stellen einen täglichen Zuwachs von Geringverdienern als Neukunden fest, deren Lohn nicht mehr ausreicht und bei den Tafel Hilfe suchen.
epd: Wie reagieren die Tafeln darauf?
Bernhard: Zwischenzeitliche Aufnahmestopps waren unumgänglich und Neukunden wurden auf auf Wartelisten vorgemerkt. Die Lage ist weiter angespannt, aber durch veränderte Konzepte, finanzielle Hilfen und eine große Solidarität in der Gesellschaft sind wir doch zuversichtlich, die Herausforderungen zu meistern.
epd: Solche Aufnahmestopps führen immer zu Diskussionen. Ist das der richtige Weg oder sollte man nicht besser einfach die Lebensmittelgaben an Einzelne reduzieren, so dass alle Bedürftigen etwas abbekommen?
Bernhard: Den Tafeln kann man keinen Vorwurf für ihre Entscheidungen machen, Aufnahmestopps zu verhängen und/oder Warteliste anzulegen. Diese Vorgehensweise gilt oft nur für einzelne Ausgabetage oder Ausgabestellen, so dass es immer Kontingente für die Unterstützung von Notleidenden gibt.
epd: Gibt es Zahlen, wie viele Klientinnen und Klienten hessenweit seit der Fluchtbewegung nach Putins Überfall auf die Ukraine dazugekommen sind?
Bernhard: In Hessen haben sich seit Anfang 2022 über 35.300 neue Kunden angemeldet. Davon kommen rund 25.000 Geflüchtete aus der Ukraine. Auch kehren viele Bestandskunden zu den Tafeln zurück, die einige Zeit ohne die Unterstützung der Tafel zurecht gekommen sind.
epd: Der Krieg kann noch lange dauern, der Winter steht vor der Tür. Sind die Tafeln in der Lage, noch deutlich mehr Flüchtlinge zu versorgen oder müsste da nicht der Staat finanziell tätig werden?
Bernhard: Die Tafeln mit ihren zusammen rund 6.000 Helfenden sind schon am Anschlag. Es werden weiter unermüdlich Lebensmittel gesammelt und verteilt. Jedoch erleben wir, dass viele Geflüchtete ihren Weg zu den Tafeln oft aufgrund von Hinweisen durch Behörden finden. Tafeln sind oftmals die erste Anlaufstelle für Geflüchtete, um schnelle und unbürokratische Hilfe zu erhalten.
epd: Das ist ja nicht grudsätzlich verkehrt ...
Bernhard: Nein. Aber wir weisen als Landesverband immer wieder darauf hin, dass diese Unterstützung nicht selbstverständlich sein kann. Wir rufen die Kommunen auf, hier neben finanzieller Unterstützung auch umfassende Hilfskonzepte für die Ukrainer vorzulegen. Das Land Hessen hat bereits reagiert. Mit einer Soforthilfe von 2,2 Millionen Euro unterstützt es die Sicherstellung eines geregelten Tafel-Betriebes. So wird verhindert, dass Tafeln schließen müssen. Man sollte nie vergessen werden, dass wir ganz von ehrenamtlichen Mitarbeitenden getragen werden. Sie leisten Untterstützung, die grundsätzlich der Staat zu leisten hat. Mehr Kunden bedeuten für die Tafeln noch mehr Kraft und Zeiteinsatz. Doch die Ressourcen einer nichtstaatlichen Organisation, die dem Staat die Unterstützung der Bürger abnimmt, sind endlich. Sie sollten nicht von außen in Frage gestellt werden, und sie bleiben ein freiwilliges Angebot.
epd: Längst bringen die Inflation und die hohen Energiepreise Bürger in Notlagen. Wie ist hier der Trend verstärkten Zulaufs und auf welche Szenarien müssen sich die Tafeln noch vorbereiten?
Bernhard: Seit Jahresbeginn haben die Tafeln in Hessen einen Zulauf von mehr als 30 Prozent an Neukunden. Dazu gehören auch vermehrt Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen und bei einer Tafel Hilfe suchen. Die Tafeln rechnen im Frühjahr 2023 mit einem enormen Anstieg an weiteren Neukunden. Selbstverständlich arbeiten Tafel-Leitungen an vorbereitenden Maßnahmen wie etwa geänderten Öffnungszeiten, reduzierten Abgabemengen und zusätzlichen Ausgabestellen.
epd: Viele Tafeln, die auch Geldspenden sammeln, kaufen Lebensmittel zu. Das ist sicher sinnvoll, aber konterkariert das nicht die Grundidee der Tafeln, überschüssige Waren zu sammeln und zu verteilen?
Bernhard: Der Zukauf von Lebensmittel ist der außerordentlich schwierigen Zeit und der überproportional gewachsenen Kundenzahlen geschuldet. Trotzdem werden Zukäufe als Ausnahmen gesehen, von einigen Tafeln sogar abgelehnt und sind kein selbstverständlicher Baustein der zukünftigen Aufstellung einer Tafel. Die Grundidee, Lebensmittel vor der Mülltonne zu retten und nur diese zu verteilen, besteht fort.
epd: Oft ist zu hören, dass die Tafeln weniger Lebensmittelspenden erhalten, weil die Discounter besser kalkulieren, was ja eigentlich gut ist. Nicht aber für die Tafeln. Ist das nicht ein dauerhaftes Problem, das sich kaum lösen lässt?
Bernhard: Die Tafeln sind mit über 280.000 Tonnen der größte Lebensmittelretter in Deutschland und tragen ganz wesentlich zum Klimaschutz bei. Ja, der Handel disponiert noch vorsichtiger als früher und so bleiben am Ende des Tages weniger Waren übrig. Doch dass optimiert wird, entspricht weiter dem Standpunkt des Bundesverbands Tafel Deutschland, der Landesverbände und Tafel-Leitungen. In Deutschland muss es vermieden werden, Lebensmittel wegzuwerfen. Klar ist die Verknappung ein Problem der Tafeln. Doch dem setzen wir entgegen, dass die Tafeln lediglich ein Ergänzungsprogramm sind, das Menschen in Not mit Lebensmittel unterstützen, die sonst im Müll landen würden. Tafeln helfen, weil sie wollen und nicht weil sie müssen.