Duisburg (epd). In dem am 23. November im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat erzielten Kompromiss einigten sich die Vertreter der Ampel und der Union auf Sanktionen gegen Leistungsbezieher sowie auf eine intensivere Betreuung der Langzeitarbeitslose. Auch wenn die Beschäftigten in den Jobcentern bereits an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen seien, sieht der Seniorprofessor am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, Matthias Knuth, das Bürgergeld als Chance. Die Fragen stellte Markus Jantzer.
epd sozial: Auch nach dem Kompromiss mit der Union soll im Bürgergeldgesetz der Vermittlungsvorrang abgeschafft werden. Statt schneller Jobvermittlung soll also eine nachhaltige Arbeitsaufnahme gelingen. Was bedeutet das für die Arbeit und den Arbeitsaufwand in den Jobcentern?
Matthias Knuth: So ist es kommuniziert, aber so allgemein stimmt das nicht. Laut Wortlaut des Gesetzesentwurfs haben lediglich abschlussbezogene Weiterbildungsmaßnahmen Vorrang vor der sofortigen Vermittlung. Das bedeutet, dass von Personen mit Berufsausbildung weiterhin verlangt werden kann, einen Job unter Qualifikation anzunehmen. Wenn jetzt durch den Kompromiss im Vermittlungsausschuss die „Vertrauenszeit“ wegfällt, könnte das auch mit Sanktionen durchgesetzt werden. Das heißt nicht, dass die Jobcenter das tatsächlich tun werden. Allgemein wird man sagen können, dass die Jobcenter weder quantitativ noch qualitativ passend aufgestellt sind, um die Ziele des Bürgergeldgesetzes zu verwirklichen.
epd: Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern nicht bereits durch die von ihnen zusätzlich geforderte Betreuung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen?
Knuth: So stellt es sich bei vielen Jobcentern dar. Zur Sicherstellung des Nötigsten wäre es eigentlich erforderlich, Personal in die Leistungssachbearbeitung umzuschichten. Zur Umsetzung des Bürgergeldgesetzes müsste umgekehrt das Personal in der Vermittlung verstärkt werden. Die Probleme sind nicht allein innerhalb der Grundsicherung zu betrachten. Unzulänglichkeiten zwischen Verwaltungen verstärken sich wechselseitig. Die Überlastung der Ausländerämter und das Fehlen einer digitalen Kommunikationsplattform zwischen Ausländerämtern und Jobcentern führen dazu, dass Verwaltungsvorgänge der Jobcenter für Zugewanderte mehrfach angefasst werden müssen. Als weiteres Problem kommt die Explosion der Energiepreise hinzu. Die Kosten der Heizung werden mehrfach nachberechnet werden müssen. Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld haben keine Liquidität, um Mehrkosten abzudecken, die durch die Preisbremsen erst nachträglich teilweise ausgeglichen werden. Wahrscheinlich werden die Jobcenter so überlastet sein, dass es zu Strom- und Gassperren kommt.
epd: Wie kann hier Abhilfe geschaffen werden? So leicht und schnell lässt sich ja kein zusätzliches qualifiziertes Personal für die Jobcenter finden.
Knuth: Kurzfristig nicht. Aber das Bürgergeld ist eine Chance. Wenn es tatsächlich gelänge, in den Jobcentern einen anderen Geist einziehen zu lassen und ihr Image zu verbessern, könnte man auch leichter Personal finden und binden.
epd: Landespolitiker fordern vom Bund, für die Jobcenter mehr Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Was lässt sich damit erreichen?
Knuth: Grundsätzlich nervt es mich, dass die Länder keinerlei Verantwortung mehr übernehmen und immer nur Forderungen an den Bund stellen. Für die Misere in den Ausländerbehörden, die auf die Jobcenter zurückschlägt, sind die Länder verantwortlich.
epd: Werden die Beschäftigten in den Jobcentern durch das neue Gesetz an anderer Stelle entlastet, etwa weil sie Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergeldes weniger kontrollieren und sanktionieren müssen als bisherige Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher?
Knuth: Das Bürgergeld übernimmt ja weitgehend die Regeln, die schon in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und dann auch wegen Corona galten. Gegenüber der Praxis der letzten zwei, drei Jahre gibt es also keine Entlastung; gegenüber der Situation davor durchaus. Allerdings werden Sanktionen wegen Pflichtverletzungen künftig vermutlich aufwändiger, weil die Kooperationsvereinbarung im Gegensatz zur bisherigen Eingliederungsvereinbarung nicht unmittelbar sanktionsbewehrt sein wird. Also müssen die Kundinnen und Kunden im Einzelfall mit Sanktionsandrohung zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert werden, bevor es eine Sanktion geben kann. Das führt entweder zur Mehrbelastung oder dazu, dass Sanktionen wegen Pflichtverletzung so selten bleiben, wie sie zuletzt waren.