Berlin (epd). Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat hat den Weg für das Bürgergeld frei gemacht. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzende des Ausschusses, Manuela Schwesig (SPD), sagte am 23. November in Berlin, damit könne die Bürgergeld-Reform zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Die Leistungen würden um 53 Euro im Monat angehoben. Das sei „eine gute Nachricht“ für sehr viele Menschen, sagte Schwesig. Gleichwohl reißt die Kritik an der geplanten Reform nicht ab - auch wegen der geringen Anhebung der Regelsätze in Zeiten hoher Inflation.
„Die von den Unionsparteien durchgesetzten Änderungen beim Bürgergeld bedeuten einen schlechten Kompromiss zu Lasten der Menschen, die Hilfe und positive Begleitung statt Bestrafung brauchen, um ihre Arbeitslosigkeit zu überwinden“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am 24. November. „Damit lebt das Bestrafungs- und Sanktionssystem Hartz IV, das die rot-grün-gelbe Bundesregierung ablösen wollte, fast unverändert weiter.“ Dass der Vermittlungsvorrang abgeschafft werde, „das ist ein echter Fortschritt“, so Werneke weiter.
Das Bürgergeld soll die Hartz-IV-Leistungen ablösen und ist eines der wichtigsten Reformvorhaben der Ampel-Koalition. Die Union hat durchgesetzt, dass weiterhin von Anfang an Sanktionen gegen Arbeitslose verhängt werden können, die ihre Mitwirkungspflichten verletzen.
Derzeit ist noch offen, wie schnell die Umsetzung der Pläne greift und ob die Reformen wirklich zum Ziel führen. Vor diesem Hintergrund mahnte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie eine bessere Vorbereitung der Jobcenter zur Unterstützung sogenannter Aufstocker an. Die Bearbeitung von Anträgen dauere bereits ziemlich lange. Mit der Einführung der Karenzzeit sei damit zu rechnen, dass künftig mehr Erwerbstätige Bürgergeld beantragen, sagte Lilie am 24. November.
„Ob die Hilfen jetzt auch schnell bei den Menschen ankommen, hängt davon ab, ob die Jobcenter die Anträge zügig bearbeiten können. Von den Personalräten der Jobcenter hören wir, dass diese komplett auf Kante genäht sind“, so der Diakonie-Präsident: „Sie haben massiven Personalmangel.“
Der Arbeitsmarktexperte Matthias Knuth sieht die geplante Einführung des Bürgergeldes zum 1. Januar mit Skepsis. „Die Jobcenter sind weder quantitativ noch qualitativ passend aufgestellt, um die Ziele des Gesetzes zu verwirklichen“, sagte er im epd-Interview.
Beide Seiten, die Ampel und die Union, stellten das Vermittlungsergebnis als einen Erfolg dar. Für die Union betonte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Hermann Gröhe (CDU), es sei gelungen, „die Balance zwischen Fördern und Fordern wieder herzustellen“, die dem Gesetz der Ampel gefehlt habe. Mit der Vertrauenszeit sei ein Kernbestand des Ampel-Gesetzes gestrichen worden, sagte Gröhe. In der ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehenen Vertrauenszeit sollte den Arbeitslosen im ersten halben Jahr des Bürgergeldbezugs möglichst nicht mit Sanktionen gedroht werden.
Demgegenüber betonten Vertreterinnen und Vertreter der Koalition, dass der Kern des Bürgergelds in einer neuen Kultur in den Jobcentern bestehe. Arbeitsminister Heil erklärte, das Bürgergeld werde dafür sorgen, dass Menschen dabei unterstützt würden, Berufsabschlüsse nachzuholen und sich weiterzuqualifizieren. Bessere Zuverdienstmöglichkeiten sorgten dafür, dass Arbeit und Ausbildung sich für Bürgergeldempfänger künftig lohnen, sagte Heil. Mit Blick auf die von der Union durchgesetzte Schärfung der Sanktionen erklärte er, dies betreffe nur eine sehr kleine Gruppe der Leistungsbezieher.
Die Jobcenter sollen künftig vorrangig für bessere Chancen der Arbeitslosen sorgen, indem Weiterbildungen oder das Nachholen von Berufsabschlüssen gefördert werden. Die anfängliche Karenzzeit, in der Ersparnisse bis zu 40.000 Euro geschont werden, beträgt ein Jahr. Zudem werden Zuverdienstmöglichkeiten verbessert. Auszubildende sowie Schülerinnen und Schüler aus Familien, die das Bürgergeld beziehen, können künftig deutlich mehr von ihrem selbst verdienten Geld behalten als bisher im Hartz-IV-System.
„'Fordern und fördern' braucht keine Sanktionsstufenpläne“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Positiv sei, dass die Angebote zur Weiterbildung und Qualifizierung sowie zur individuellen Betreuung auf den Weg zurück in den Arbeitsmarkt im Gesetz erhalten bleiben. „Wir müssen alles tun, um Menschen, die die Tür zum Arbeitsmarkt als versperrt erleben, Mut zu machen für einen neuen Anfang und nachhaltige Teilhabechancen zu eröffnen.“
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe begrüßte ebenfalls, dass künftig stärker auf berufliche Qualifizierung und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Menschen, die das Bürgergeld beziehen, gesetzt werden soll. Unverständlich sei jedoch, „dass die Vertrauenszeit nun entfallen soll, dabei wäre eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sanktionen unbedingt wünschenswert“, sagte Geschäftsführerin Werena Rosenke. „Die aktuelle Diskussion verfolgen wir insgesamt mit Sorge. Arbeitsanreize und einen Lohnabstand erzeugt man in erster Linie durch faire Löhne und nicht dadurch, dass man Familien mit Kindern, wohnungslose oder langzeitarbeitslose Menschen und Beschäftigte im Niedriglohnsektor gegeneinander ausspielt.“
Das Bürgergeld ist nach einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) zu niedrig, um Armut nachhaltig einzudämmen. Das neue Bürgergeld biete lediglich einen Inflationsausgleich, sagte die Direktorin des gewerkschaftsnahen Instituts, Bettina Kohlrausch am 24. November in Düsseldorf bei der Vorstellung des neuen WSI-Verteilungsberichts. Die Grundsicherung sei bereits vor den Krisen der vergangenen beiden Jahre nicht armutsfest gewesen. „Darauf wird mit der Erhöhung durch das Bürgergeld nicht reagiert“, erklärte sie. Der Verteilungsbericht fordert eine Anhebung der Grundsicherung auf ein Niveau, das die Einkommensarmut tatsächlich verhindere.