sozial-Recht

Bundessozialgericht

Vertrauensperson darf zur ärztlichen Begutachtung mitgebracht werden




Behandlung durch einen Mediziner
epd-bild/Werner Krüper
Mit einer angeordneten ärztlichen Begutachtung sollen unabhängig gesundheitliche Einschränkungen festgestellt werden. Um Angst vor der Untersuchung abzubauen und um mögliche Fehler belegen zu können, darf aber eine Vertrauensperson mitgenommen werden.

Kassel (epd). Für kranke und behinderte Menschen geht es bei einer gerichtlich angeordneten ärztlichen Untersuchung oft um viel. Soll etwa ein Sachverständiger den Grad der Behinderung (GdB) oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beurteilen, können die zu Begutachtenden aber zur Sicherheit eine Vertrauensperson mit zum Arzt nehmen, urteilte am 27. Oktober das Bundessozialgericht (BSG). Nur wenn im Einzelfall mit der Mitnahme einer Begleitperson „die objektive, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert“ wird, kann das Gericht, nicht aber der Gutachter, den Ausschluss der Vertrauensperson anordnen, entschieden die obersten Sozialrichter in Kassel.

Überprüfung nach fünf Jahren

Im konkreten Fall ging es um einen Mann aus Niedersachsen, bei dem wegen eines Tumors ein Teil seines Schulterblattes entfernt werden musste. Gerichtlich hatte er wegen seiner Erkrankung einen Grad der Behinderung von 50 erstritten. Damit galt er als schwerbehindert und konnte etwa von einem besonderen Arbeitsrechtsschutz wie Kündigungsschutz und Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz profitieren. Wie bei Tumorerkrankungen meist üblich, galt eine fünfjährige „Heilungsbewährung“, d. h., nach dieser Zeit muss der Betroffene seine Schwerbehinderung noch einmal überprüfen lassen.

Die zuständige Behörde erkannte nach Ablauf der Zeit nur noch einen GdB von 20 an. Das Sozialgericht Osnabrück bestimmte daraufhin einen orthopädischen Sachverständigen, der den Kläger begutachten sollte. Allerdings lehnte es dieser ab, die Untersuchung im Beisein der Tochter des Mannes zu machen. Die Anwesenheit der Tochter erschwere die „Erhebung objektiver Befunde“. Auch wenn die Angehörige nichts sage, könne sie nonverbal die Begutachtung beeinflussen. Ohne Erfolg wies der Kläger darauf hin, dass er wegen eines zuvor erlittenen ärztlichen Behandlungsfehlers Angst vor medizinischen Untersuchungen habe und zur Beruhigung die Anwesenheit einer Vertrauensperson wünsche.

Verringerung des GdB auf 20 ohne Gutachten

Ohne seine Tochter ließ sich der Kläger nicht von dem Orthopäden begutachten. Der daraufhin vom Gericht beauftragte zweite Gutachter lehnte die Anwesenheit einer Vertrauensperson ebenfalls ab. Der Arzt fürchtete, dass ihm Fehler bei der Begutachtung angelastet werden könnten. Da der Kläger auf die Anwesenheit seines Angehörigen bestand, kam wieder keine Begutachtung zustande. Das Sozialgericht sah damit die Mitwirkungspflichten des Patienten verletzt. Die Verringerung des GdB auf 20 wurde bestätigt.

Ohne eine Begleitung bei der Begutachtung werde sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt, rügte daraufhin der Kläger. Das Landessozialgericht (LSG) Celle urteilte am 11. Dezember 2019, dass der Kläger keinen Anspruch auf Mitnahme einer Vertrauensperson habe. Zwar gebiete der Grundsatz des fairen Verfahrens und des effektiven Rechtsschutzes, dass die Verfahrensbeteiligten „bei der Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen eines Gutachtens durch den Sachverständigen“ dem beiwohnen können. Dies sage aber nichts über eine Begleitperson aus.

Zwar habe das OLG Hamm 2015 entschieden, dass ohne Begleitung ein medizinisch oder psychologisch zu begutachtender Beteiligter keine Möglichkeit hätte, denkbare Wahrnehmungsfehler des Sachverständigen belegen zu können. Dem folgte das LSG jedoch nicht. Bei Streitigkeiten über die Richtigkeit von Gutachterergebnissen könne dies ausreichend in der mündlichen Verhandlung vor Gericht geklärt werden. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass eine Begleitperson den Untersuchungsgang beeinflusst und die Ergebnisse verfälschen wolle.

Recht auf ein faires Verfahren

Das beklagte Land hatte noch darauf verwiesen, dass die Mitnahme einer Vertrauensperson nicht erforderlich sei, da die gerichtlich bestellten Sachverständigen sowieso unabhängig seien. Dieser sei eine „neutrale Hilfsperson“ des Gerichts, so dass von einem unfairen Verfahren nicht ausgegangen werden könne. Es bestehe zudem die Gefahr, dass mit Anwesenheit einer Begleitperson einen Tag später vermeintliche Begutachtungsfehler auf Twitter veröffentlicht werden.

Doch das BSG urteilte, dass eine von einem medizinischen Sachverständigen zu begutachtende Person regelmäßig eine Vertrauensperson mitnehmen darf. Dies gebiete das Recht auf ein faires Verfahren und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zu begutachtenden Person. Nur ausnahmsweise könne die Mitnahme einer Vertrauensperson von der Begutachtung ausgeschlossen werden.

Danach kann nur das Gericht, nicht aber der Gutachter, den Ausschluss der Vertrauensperson anordnen, wenn ihre Anwesenheit „eine geordnete, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert“. Dies könne etwa von der Beziehung des Beteiligten zur Begleitperson abhängen oder auch bei psychischen Erkrankungen erforderlich sein.

Hier sei die Anwesenheit der Begleitperson aber nur pauschal abgelehnt worden. Das LSG müsse den Fall daher noch einmal prüfen und auch klären, ob die Feststellung des GdB nicht nach Aktenlage entschieden werden könne.

Az.: B 9 SB 1/20 R (Bundessozialgericht)

Az.: L 13 SB 4/19 (Landessozialgericht Celle)

Az.: 14 UF 135/14 (Oberlandesgericht Hamm)

Frank Leth