Kassel (epd). Eine Sehstörung muss für die Feststellung eines Grades der Behinderung ausreichend medizinisch belegt sein. Liegt kein medizinischer Befund über das eingeschränkte Augenlicht oder eine gegebenenfalls psychische Störung vor, gehe dies zulasten der behinderten Person, urteilte am 27. Oktober das Bundessozialgericht in Kassel.
Bei der 1997 geborenen Klägerin wurden während der Schulzeit zunehmende Sehstörungen festgestellt. Dennoch konnte sie noch Turmspringen als Leistungssport ausüben. Derzeit arbeitet sie als Physiotherapeutin mit schwerst mehrfach behinderten Kindern. Wegen ihrer Sehbeeinträchtigung erhielt sie von ihrer Krankenkasse Blindenstöcke, ein Mobilitätstraining und einen Blindenführhund gestellt.
Zuletzt wurde bei der Frau ein Behindertengrad von 40 festgestellt. Gerichtlich verlangte sie jetzt die Feststellung einer Schwerbehinderung und eines Grades der Behinderung von 70.
Das Landessozialgericht Essen gab ihr recht. Zwar sei die Ursache ihrer Sehstörung unklar, es liege kein medizinischer Befund darüber vor. Das Krankheitsbild ziehe sich aber „konsistent und widerspruchsfrei“ durch ihre Biografie, lautete die Begründung der Essener Richter. Doch das Bundessozialgericht hob dieses Urteil nun auf und verwies das Verfahren an das Landessozialgericht zurück.
Die maßgebliche Versorgungsmedizin-Verordnung schreibe zwingend den objektiven Nachweis eines organischen Befundes für angegebene Sehstörungen vor, wenn damit ein Grad der Behinderung begründet werden soll, hieß es. Eine jahrelang „gelebte Sehstörung“ ohne nachgewiesenen Befund könne keinen Grad der Behinderung begründen, befand das Gericht. Das Landessozialgericht müsse daher jetzt prüfen, ob sich die Sehstörungen der Klägerin „psychisch-neurologisch“ oder mit einem anderen Befund erklären lassen. Sei das nicht möglich, gehe das zulasten der Klägerin.
Az.: B 9 SB 4/21 R