Kassel (epd). Behinderte Sozialhilfeempfänger können bei der Wohnungssuche Anspruch auf „individuelle Hilfestellung“ des Sozialhilfeträgers haben. Kommt dem die Behörde nicht nach, kann die von ihr als zu teuer angesehene gegenwärtige Wohnung grundsätzlich als „angemessen“ angesehen werden, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 6. Oktober.
Die Klägerin lebt mit ihrem Mann in einer Mietwohnung in Minden. Sie leidet an Epilepsie, bezieht eine Erwerbsminderungsrente und zudem ergänzende Sozialhilfe. Ihr Ehemann ist geistig behindert und arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Er bekommt eine ausreichend hohe Rente und ist deshalb nicht auf Sozialhilfe angewiesen.
Das Sozialamt hielt die monatliche 565 Euro hohe Warmmiete für nicht angemessen. Die Behörde forderte das Paar zur Senkung der Unterkunftskosten auf. Es sei nicht ersichtlich, dass sie keinen günstigeren Wohnraum finden könnten, befand das Amt.
Die Sozialhilfebezieherin zog vor Gericht und führte dort aus, dass sie angesichts ihrer Behinderungen froh gewesen seien, überhaupt eine Wohnung gefunden zu finden. Bemühungen um eine günstigere Wohnung seien erfolglos gewesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen gab der Behörde noch recht.
Das BSG hob diese Entscheidung jedoch auf und verwies das Verfahren an das LSG zurück. Das Gericht habe bei der Prüfung der angemessenen Kosten nicht berücksichtigt, dass das behinderte Paar „individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen“.
Führen die individuellen Beeinträchtigungen sowohl hinsichtlich der Klägerin als auch ihres Ehemannes zu einer „erheblichen Einschränkung beziehungsweise Verschlossenheit des Wohnungsmarktes“, sei die Behörde zur „individuellen Hilfestellung“ bei der Wohnungssuche verpflichtet. „Andernfalls ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen“, urteilte das BSG.
Das LSG müsse nun das Ausmaß der behinderungsbedingten Beeinträchtigung prüfen und auch Fest-stellungen zu etwaigen Absetzbeträgen von Renteneinkommen der Klägerin treffen.
Az.: B 8 SO 7/21 R