Kassel (epd). Krankenhäuser sind in einem medizinischen Notfall auch mittellosen Menschen gegenüber zur Hilfeleistung verpflichtet. Verfügt die Patientin oder der Patient nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz, kann das Krankenhaus nur unter engen Voraussetzungen die Erstattung angefallener Behandlungskosten durch den Sozialhilfeträger verlangen, urteilte am 6. Oktober das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen darf ein Krankenhaus Patienten in akuten Notfällen nicht abweisen. Andernfalls macht es sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Eine Behandlungspflicht besteht auch für Menschen, die nicht krankenversichert sind. Damit Kliniken nicht auf den Kosten der Notfallbehandlung sitzen bleiben, hat der Gesetzgeber einen „Nothelferparagrafen“ eingeführt.
Danach können die von einem „Anderen“ im Eilfall erbrachten Leistungen „in gebotenem Umfang“ vom Sozialhilfeträger erstattet werden. Der Hilfebedürftige darf über keine eigenen ausreichenden finanziellen Mittel verfügen. Eine Kostenerstattung ist nur möglich, wenn diese „innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird“, heißt es im Sozialgesetzbuch 12. Eine vergleichbare Regelung gibt es auch im Asylbewerberleistungsgesetz.
Im jetzt vom BSG entschiedenen Fall ging es um eine Bulgarin, die im Januar 2019 nachts wegen eines massiven Bluthochdrucks stationär im Helios Klinikum Duisburg aufgenommen wurde. Kurz darauf sandte die Klinik ein Fax an das Sozialamt, in dem sie als Nothelfer die Übernahme der stationären Behandlungskosten beantragte.
Das Krankenhaus ging von Mittellosigkeit und fehlendem Krankenversicherungsschutz bei der Patientin aus. Die Frau unterzeichnete eine Abtretungserklärung, damit die Klinik bestehende Sozialhilfeansprüche geltend machen kann. Nach zwei Tagen wurde die Frau wieder entlassen.
Doch die Stadt Duisburg lehnte die Übernahme der Kosten von fast 2.000 Euro ab. Ein Erstattungsanspruch wegen einer Notsituation bestehe nur, wenn ein akuter medizinischer Notfall eines mittellosen Menschen vorliege und das Krankenhaus keine Möglichkeit hatte, darüber den Sozialhilfeträger rechtzeitig zu informieren. Hier sei der Antrag am Montag gestellt worden. An diesem Tag hätte auch die Patientin selbst Sozialhilfeansprüche geltend machen können.
Ob die Frau bedürftig war, sei nicht klar gewesen. Unter der von ihr angegebenen Anschrift war sie unbekannt. Nach der Klinik-Entlassung sei sie nicht mehr auffindbar gewesen. Das Risiko hierfür trage das Krankenhaus, so die Stadt.
Die Klinik wandte dagegen ein, dass sie nach dem Gesetz als Nothelfer nicht auf den Behandlungskosten sitzen bleiben darf. Leider sei das kein Einzelfall. Es gebe an der Klinik rund 300 Fälle, bei denen die Stadt die Behandlungskosten nicht übernehmen wollte. Als Nothelfer habe die Klinik ab Kenntnis der Behörde Anspruch auf Kostenerstattung. Hier habe die Stadt aber erst nach zwei Monaten den Antrag auf Kostenübernahme bearbeitet. Es sei auch nicht Aufgabe des Krankenhauses, mögliche Sozialhilfeansprüche zu prüfen, hieß es.
Doch die Klage der Helios-Klinik hatte sowohl vor dem Landessozialgericht (LSG) als auch vor dem BSG keinen Erfolg. Zum einen sei gar nicht klar, ob die Patientin überhaupt mittellos war. Zum anderen habe die Stadt bereits am ersten Behandlungstag, an einem frühen Montagmorgen, mit dem erhaltenen Fax Kenntnis über die eventuelle Notlage der Patientin erhalten. Damit könne ab diesem Zeitpunkt nur die Patientin mögliche Sozialhilfeansprüche als „Hilfe bei Krankheit“ gegenüber der Stadt geltend machen.
Eine Abtretung der Ansprüche auf den Krankenhausträger - wie hier geschehen - sei gesetzlich nicht erlaubt, weil es sich bei Sozialhilfeleistungen um „höchstpersönliche Ansprüche“ handele, befand das Gericht.
Bereits am 8. November 2014 hatten die Kasseler Richter geurteilt, dass Krankenhäuser als Nothelfer sich meist auch nicht die volle Krankenhausbehandlung erstatten lassen können. Werde für die Behandlung eines Patienten eine Fallpauschale abgerechnet, könne das Krankenhaus nur den tagesbezogenen Anteil erhalten, in dem es als Nothelfer tätig war. Für die restliche Zeit müsse der Patient mögliche Sozialhilfeleistungen einfordern.
Maike Grube, Referentin für gesundheitliche Versorgung bei der Diakonie Deutschland, zeigte sich von der Rechtsprechung des BSG enttäuscht. „Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht“, betonte Grube. Die medizinische Versorgung im akuten Notfall müsse auch für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz sichergestellt sein. Grube zufolge gebe hierzulande schätzungsweise mehrere Hunderttausend Menschen ohne Krankenversicherungskarte. Das seien etwa Selbstständige, Wohnungslose oder Menschen, die sich ohne geregelten Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet aufhalten.
„Die schwierige Finanzierung von Krankenhäusern als Nothelfer führt mitunter dazu, dass Kliniken sich von den betroffenen Patientinnen und Patienten Selbstzahlererklärungen unterschreiben lassen und Vorabzahlungen verlangen“, klagte Grube. Das treffe gerade bedürftige Menschen in ihrer Notsituation besonders hart.
Damit Nothelferansprüche der Krankenhäuser wegen der strengen Voraussetzungen nicht ins Leere laufen, fordert die Gesundheitsexpertin, dass der Gesetzgeber hierfür eine Sockelfinanzierung der Krankenhäuser einführt. Daraus könnten dann etwa Nothelferbehandlungen bezahlt werden.
Az.: B 8 SO 2/21 R (BSG, Nothelferanspruch, Abretungserklärung)
Az.: B 8 SO 9/13 R (BSG, Erstattungsanspruch, Fallpauschalen)