sozial-Politik

Schwangerschaftsabbruch

Interview

Frauenärztin: Den meisten geht es nach einer Abtreibung gut




Gabrielle Stöcker
epd-bild/pro Familia Köln/Jeanette Bühren
Warum es wieder mehr Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gibt, können auch Expertinnen wie Gabrielle Stöcker nicht erklären. Man könne nur spekulieren. "Es gibt auch Menschen, die sich sichere Verhütungsmittel nicht leisten können", sagt die Gynäkologin und Mitarbeiterin bei pro familia in Köln.

Köln (epd.) Die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch sind ach Einschätzung der Frauenärztin Gabriele Stöcker vielschichtig. „Wenn schon Kinder im Haus sind, stoßen manche an ihre Grenzen: psychisch und körperlich, aber auch finanziell.“ Auch familiäre Schwierigkeiten, Probleme in der Partnerschaft, Trennungen oder ein nicht vorhandener Kinderwunsch könnten dazu führen, dass Frauen eine Schwangerschaft nicht fortführen wollten. Stöcker berät in Köln für die bundesweit aktive Organisation pro familia zu Sexualität, Schwangerschaft, Abtreibung und Partnerschaft. Mit ihr sprach Anna Schmid.

epd sozial: In welcher Situation sind die Frauen, die zu Ihnen in die Schwangerschaftskonfliktberatung kommen?

Gabrielle Stöcker: Unterschiedlich. Die meisten sind unbeabsichtigt schwanger geworden, wünschen einen Abbruch der Schwangerschaft oder denken darüber nach. Manche wissen überhaupt nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen und sind wirklich im Konflikt. Es kommen aber auch viele Frauen, die sehr entschieden sind und ganz klar wissen, dass sie diese Schwangerschaft beenden möchten. Auch wie es den Frauen geht, ist unterschiedlich. Eine Schwangere, die nicht weiß, ob sie die Schwangerschaft austragen soll oder nicht, ist sicherlich aufgewühlter und trauriger als eine Frau, die kommt und zu 100 Prozent sicher ist, dass sie die Schwangerschaft nicht fortführen will.

epd: Warum wollen Frauen eine Schwangerschaft abbrechen?

Stöcker: Manche haben schon drei oder vier Kinder. Sie sagen, dass ihre Familienplanung abgeschlossen ist und sie glücklich sind mit den Kindern, die sie haben. Andere kommen mit einem Säugling in die Beratung und sagen, dass es zu früh ist. Die Zahl der Kinder ist aber nicht unbedingt der Grund. Es kann zum Beispiel auch sein, dass eine Beziehung auseinandergegangen ist und die Frau plötzlich alleinerziehend ist. Und wenn schon Kinder im Haus sind, stoßen manche an ihre Grenzen: psychisch und körperlich, aber auch finanziell. Es ist immer vielschichtig. Meistens werden mehrere Gründe genannt.

Bei Frauen, die noch keine Kinder haben, dürften familiäre und partnerschaftliche Probleme öfter eine Rolle spielen. Sie sagen, dass die Beziehung mit ihrem Partner noch nicht gefestigt genug ist, um mit ihm Kinder zu bekommen. Finanzielle Unsicherheiten spielen eine Rolle, zum Beispiel in Ausbildung oder im Studium. Manche sehen sich durch psychische Belastungen und Erkrankungen auch nicht in der Lage, für ein Kind zu sorgen. Vielleicht besteht auch einfach kein Kinderwunsch.

epd: Es klingt widersprüchlich: in Deutschland ist eine Abtreibung dem Gesetz nach rechtswidrig, aber straffrei. Wie ist das zu verstehen?

Stöcker: Es ist grundsätzlich verboten, eine Schwangerschaft abzubrechen. Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht im Laufe der Jahrzehnte mehrfach bestätigt. Straffrei bleibt ein Abbruch nach der sogenannten Beratungsregelung: Dafür muss die Frau sich bei einer anerkannten Stelle beraten lassen und einen Nachweis darüber haben, den Beratungsschein. Außerdem dürfen seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein und der Abbruch muss von einem Arzt durchgeführt werden. Nicht rechtswidrig sind Abbrüche nach einer Sexualstraftat. Auch sie dürfen nur bis zur 12. Woche nach der Empfängnis durchgeführt werden. Und dann gibt es noch Abbrüche mit medizinischer Indikation, die ebenfalls nicht rechtswidrig sind und faktisch auch zeitlich nicht begrenzt.

epd: Welche regionalen Unterschiede gibt es beim Zugang zum Schwangerschaftsabbruch?

Stöcker: Ich spreche für Nordrhein-Westfalen, aber das lässt sich sicher zum Teil auch auf Deutschland übertragen. Noch vergleichsweise gut ist die Versorgung in Köln und Düsseldorf. Aber ich muss relativieren: Nicht alle Einrichtungen machen jeden Tag Abbrüche, bieten alle Methoden bis zum Ende der möglichen Fristen an oder ermöglichen Schwangerschaftsabbrüche mit Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Für Selbstzahlerinnen kostet der Abbruch zwischen 350 und 600 Euro. Eine Stadt wie Köln versorgt auch das Umland mit. Das geht bis in die Eifel und ins Bergische Land. In Nordrhein-Westfalen gibt es ländliche Gebiete mit einer ganz schlechten Versorgung, etwa im Sauerland oder am Niederrhein. Das gilt auch für einige Städte und Regionen und anderen Bundesländern.

epd: Welche Hürden gibt es, wenn Praxen von schlecht versorgten Gebieten aus schwer erreichbar sind?

Stöcker: Die Betroffenen haben vielleicht niemanden, dem sie sich anvertrauen können. Niemanden, der sie fährt. Vielleicht gibt es nur einen Bus, der nur zweimal am Tag kommt. Minderjährige haben es noch schwerer, jemanden zu finden, der sie unterstützt. Und wenn die erreichbare Praxis nur eine Methode anbietet, entweder eine OP oder einen medikamentösen Abbruch, ist die Wahlfreiheit der Frauen eingeschränkt. Bei ambulanten Eingriffen mit Narkose wird in der Regel eine Begleitperson verlangt. Ein medikamentöser Abbruch, der in Deutschland in den allermeisten Fällen in Arztpraxen durchgeführt wird, ist oft mit relativ starken Blutungen und Bauchkrämpfen verbunden. Das heißt, die Frauen müssen unter diesen Umständen in öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren. Und vielleicht müssen auch noch kleine Kinder versorgt werden.

epd: Bekommen Sie mit, wie es den Frauen nach dem Abbruch geht?

Stöcker: Den meisten geht es gut und sie sind mit sich im Reinen. Das zeigen auch Untersuchungen. Es ist kein Ereignis, das sie sich noch mal herbeiwünschen. Doch es ist nicht generell so, dass sie es später bereuen oder deswegen psychisch krank werden. Viele verspüren auch Erleichterung. Frauen, die psychisch durch einen Abbruch belastet sind und vielleicht Unterstützung brauchen, gibt es allerdings auch. Sie sind furchtbar traurig, auch wenn sie sagen, dass es die richtige Entscheidung war. Vielleicht, weil sie einen Kinderwunsch hatten und es dann plötzlich eine Trennung gab oder etwas anderes passiert ist. Das sind Trauerprozesse, die die meisten gut bewältigen.

Und es gibt die Frauen, die sich wünschen, sie könnten es rückgängig machen oder sehr damit hadern und zu uns zur Nachberatung kommen. Aber es sind insgesamt wenige. Statistisch wird dabei auch nicht differenziert, ob das Beratungen nach einem späten Schwangerschaftsabbruch sind, also etwa nach einem pränataldiagnostischen Befund, oder ob es Abbrüche nach der Beratungsregelung sind.

epd: Kürzlich hat das Statistische Bundesamt mitgeteilt, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland im zweiten Quartal 2022 um 11,5 Prozent zugenommen hat. Woran könnte das liegen?

Stöcker: Es wäre spekulativ zu sagen, was dahintersteckt. Hinzu kommt, dass neben dieser absoluten Zahl die Quote von Schwangerschaftsabbrüchen je 10.000 Frauen im Alter von 15 bis 50 Jahren fehlt, also der Bezug zu der relevanten Bevölkerungsgruppe. Ist es im Rahmen üblicher Schwankungen?

Wir haben in den letzten Jahren und Monaten viele Krisen erlebt. Hat es etwas mit den Nachwehen von Corona zu tun? Die Pandemie ist zwar noch nicht vorbei, aber lange nicht mehr so schlimm wie vor ein oder zwei Jahren. Warum sollten jetzt deswegen die Abbruchzahlen steigen? Ist es der Krieg in der Ukraine, der die Menschen verunsichert? Sind es die gestiegenen Energiepreise, die alle kalt erwischen? Haben die Betroffenen durch eine Schwangerschaft Existenzängste und Sorge, dass sie mit den Kindern, die sie haben, über die Runden kommen? Oder wird unsicherer verhütet? Verlassen sich zu viele Menschen auf vermeintliche Verhütungs-Apps? Es gibt auch Menschen, die sich sichere Verhütungsmittel nicht leisten können. Sie greifen dann eher auf Methoden zurück, die nicht so sicher sind oder die überhaupt nicht zu ihnen passen. Deshalb fordert pro familia, dass die Kosten für Verhütungsmittel von den Krankenkassen übernommen werden.