sozial-Politik

Psychiatrie

Nachruf

Ein Leben gegen die Ausgrenzung von psychisch kranken Menschen




Karl Beine
epd-bild/privat
Der kürzlich verstorbene Sozialpsychiater Professor Dr. Dr. Klaus Dörner hatte sich einer humanen Psychiatrie verschrieben. Sein Nachfolger am Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke, Professor Dr. Karl H. Beine, würdigt in einem Nachruf Dörners Lebensleistung.

Der Sozialpsychiater Professor Dr. Dr. Klaus Dörner ist gestorben. Eines seiner letzten Bücher hieß: „Leben und sterben, wo ich hingehöre“. Er ist in Gütersloh gestorben, wo er lange gelebt und die Psychiatrie menschenfreundlicher gemacht hat.

Geboren am 22. November 1933 in Duisburg hat er in Heidelberg und Berlin studiert. 1960 wurde er zum Dr. med. und 1969 zum Dr. phil. promoviert.

1968 begann er in Hamburg an der psychiatrischen Universitätsklinik und im öffentlichen Gesundheitsdienst als Arzt zu arbeiten. „Nebenbei“ entstand in den Hamburger Jahren, gemeinsam mit Ursula Plog „Irren ist menschlich“, ein richtungsweisendes Lehrbuch, das inzwischen seine 24. Auflage erlebt. Hier lässt sich nachlesen, wie es gelingen kann, sich selbst auf den anderen zu verstehen und mit Respekt auf Augenhöhe mit Menschen in Krisen umzugehen.

„Ein rotes Tuch für alle anständigen Hanseaten“

1980 wurde er - inzwischen habilitiert - zum leitenden Arzt der Westfälischen Klinik in Gütersloh berufen. In Hamburg wollte man ihn nicht als Chefarzt: „Ich war ein rotes Tuch für alle anständigen Hanseaten“ - so sagte er es selbst einmal.

Die wechselvolle Geschichte der Gütersloher Anstalt, insbesondere ihre aktive Beteiligung an der Ausmerzung allen abweichenden, störenden und kostenverursachenden Verhaltens, an der „Endlösung der sozialen Frage“, die kannte Klaus Dörner damals wahrscheinlich nur in groben Zügen. Dass wir sie heute so genau kennen, das ist wesentlich sein Verdienst.

Aber eines wusste Klaus Dörner schon damals sehr genau: Psychisch kranke Menschen - und chronisch kranke Menschen zumal - sind eine extrem gefährdete Gruppe, wenn das Geld knapp wird und sich die Priorität von der mühsamen und teuren Sorge um den einzelnen Menschen unbemerkt wegbewegt hin zur Glorifizierung eines übergeordneten Fortschrittsglaubens, z. B. dem Volksganzen, z. B. der Sicherheit.

In seiner Studie „Bürger und Irre“ von 1969 hatte Dörner erstmals dargelegt, wie gefährlich die Institutionalisierung der „Unvernünftigen“, der „Irren“ und damit ihr Verschwinden aus der Öffentlichkeit ist. Er wurde treibende Kraft der Reformbewegung und Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie.

Konsequente Deinstitutionalisierung

Seine historisch fundierten Einsichten haben seine tiefe Skepsis gegen die dauerhafte Unterbringung von chronisch psychisch kranken Menschen in zentralistischen Institutionen begründet. Und so hat er in seiner Zeit als leitender Arzt der Westfälischen Klinik in Gütersloh zwischen 1980 und 1996 bewiesen, dass die Dauerhospitalisierung chronisch psychisch kranker Menschen unsinnig und menschenfeindlich ist und sämtlichen sogenannten „Langzeitpatienten“ der Gütersloher Klinik ein freies Leben in ihrer Heimatgemeinde ermöglicht. Diese konsequente Deinstitutionalisierung hat damals viele gegen ihn aufgebracht: Die Entlassung von Patienteninnen und Patienten, die lange in der Klinik untergebracht waren, die waren mit Arbeitsplatzverlusten und mit Erlösausfällen verbunden.

Sein Wissen, wie leicht psychisch kranke Menschen ausgegrenzt, entrechtet, dem Hungertod preisgegeben und schließlich aktiv getötet wurden, war wesentliches Motiv für seinen Kampf um Entschädigung der Opfer der deutschen Psychiatrie. Sie war auch tragender Beweggrund für seine Bitten um Vergebung und die vorgelebte Versöhnung mit polnischen Psychiatrieopfern. Er war Mitinitiator der „Deutsch-Polnischen Gesellschaft für seelische Gesundheit“. Hartnäckig und mit viel Geschick gelang es ihm, dass der Nürnberger Ärzteprozess von 1946/47 vollständig dokumentiert wurde und er 2001 - gemeinsam mit Angelika Ebbinghaus - den Sammelband „Vernichten und Heilen - Der Nürnberger Ärzteprozess und seine Folgen“ herausgeben konnte.

Von 1986 bis 1996 war Klaus Dörner der erste Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke.

Selbstkritischer Umgang mit eigenen Fehlern

Die wohl schwierigste Zeit seines Berufslebens hat Klaus Dörner in den Jahren 1990/91 erlebt. Er musste erfahren, dass in der eigenen Gütersloher Klinik ein Helfer schutzbefohlene Patientinnen und Patienten getötet hatte. Dörner ist selbstkritisch mit eigenen Fehlern umgegangen und hat die Öffentlichkeit nicht gescheut. Das hat nicht allen gefallen.

Im November 1996 ging Klaus Dörner in den Ruhestand. Sein Abschiedssymposium war mit seinem wohl bedeutendsten Leitsatz überschrieben: „Mit den Schwächsten beginnen“ - zum Menschenbild der Psychiatrie.

Nach seiner Emeritierung verreiste Klaus Dörner mit seiner Frau nach Australien - für drei Monate. Und er nahm die Bibel mit. Weitere Reisen nach Down Under folgten.

Es sind noch eine ganze Reihe von Büchern entstanden, so „Der gute Arzt“ oder „Helfensbedürftig - Heimfrei ins Dienstleistungsjahrhundert“, um nur einige zu nennen. So lange es seine Gesundheit zuließ - am Ende war er von einer Demenz befallen - hat Klaus Dörner viele von ihm sogenannte „Missionsreisen“ unternommen und geworben für alternative Wohnformen für Ältere und Hilfsbedürftige. Ab 2003 war er für einige Jahre Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages und machte hier psychisch kranke Menschen zum Thema.

Gestorben, wo er hingehört

Die Entpflichtung der Gemeinden vom unmittelbaren Menschendienst, die Vermarktung der Diakonie, die hat er sehr kritisch betrachtet und das Fundament jeder funktionierenden Gemeinde, die Einheit von Menschen- und Gottesdienst vorgelebt. Gottesdienst ohne Menschendienst verliert die Erde und Menschendienst ohne Gottesdienst verliert den Himmel - davon war er überzeugt.

Nun ist Klaus Dörner in Gütersloh gestorben. Bei „Daheim“, einem Verein, der individuelle Pflege für Gütersloher Bürgerinnen und Bürger leistet mit ambulanten Diensten, Gästezimmern, Hausgemeinschaften und betreuten Seniorenwohnungen. Das Konzept hat ihm gefallen, den Verein hat er unterstützt.

Als ich Klaus Dörner - eine Woche vor seinem Tod - das letzte Mal sah, da wurde überdeutlich, wie untrennbar ein würdiges Ende mit würdiger Fürsorge verknüpft ist. Der Schrei nach Sterbehilfe und assistiertem Suizid würde leiser, wenn es viele solcher Orte gäbe.

Klaus Dörner hat gelebt und ist gestorben, wo er hingehört.

Professor Dr. Karl H. Beine ist emeritierter Psychiatrie-Professor an der Universität Witten/Herdecke.