sozial-Politik

Energiekosten

Bei Hartz IV wächst die "Wohnkostenlücke"




Heizlüfter sind keine Alternative zur Heizung: Die Stromkosten müssen Hartz IV-Bezieher alleine bezahlen.
epd-bild/Heike Lyding
Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass die Ämter in vollem Umfang sämtliche Heizkosten für Hartz IV-Bezieher übernehmen. Das gilt nur für angemessen große Wohnräume. Betroffene zahlen bei steigenden Preisen oft drauf - diese "Wohnkostenlücke" wächst, wie die Linkspartei betont.

Frankfurt a.M. (epd). Die Buchstaben des Gesetzes klingen eindeutig: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“ Problem: Das Sozialgesetzbuch II legt in § 22 nicht fest, was „angemessen“ ist - ein unbestimmter Rechtsbegriff. Dagegen ist klar: Die Stromkosten müssen Hilfebezieher aus dem Regelsatz bezahlen - egal, wie hoch die Preise noch klettern.

Angemessener und damit für Hartz IV-Bezieher nutzbarer Wohnraum ist in den Ballungszentren längst zur Mangelware geworden. Weil Wohnungen in diesem Segment fehlen und Betroffene nicht einfach in eine billigere Wohnung umziehen können, müssen Betroffene oft Heizkostenanteile aus der eigenen Tasche, sprich vom Regelsatz bezahlen. Fachleute nennen dieses Phänomen „Wohnkostenlücke“. Wie groß die ist, schwankt regional, vor allem wegen des Stadt-Landgefälles bei den Mieten samt Nebenkosten. Und auch, weil die Kommunen in eigener Hoheit festlegen, wie „Angemessenheit“ bei den Wohnkosten ermittelt wird.

Über 15 Prozent der Haushalte zahlen drauf

Aktuelle Daten zeigen, dass im Jahr 2021 15,4 Prozent der IV Bedarfsgemeinschaften gezwungen waren, einen Teil der Unterkunftskosten selbst zu tragen. Das waren im Schnitt 91 Euro (Vorjahr: 86 Euro), berichtet das Portal „HartzIV.org“.

Die Linksfraktion hat von Bundesregierung jüngst erfahren, dass davon knapp 400.000 Haushalte, also fast jede sechste Bedarfsgemeinschaft betroffen ist. „Für dieses Jahr braut sich eine dramatische Verschlechterung dieser ohnehin angespannten Situation zusammen. Vor allem bei den Heiz- und Nebenkosten droht durch die Inflation ein Desaster“, sagte die Sprecherin für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, Jessica Tatti.

Kommunen hinken bei den Kosten hinterher

Auch sie verweist auf die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Eigentlich müssten die Jobcentern die gestiegenen Heizkosten übernehmen, aber viele Kommunen hätten die Preisentwicklung noch nicht in ihre Richtlinien eingepreist: „Das muss jetzt schnell geschehen.“

Die Politikerin rief den Bund auf, dafür sorgen, dass die vollen Heizkosten übernommen werden. Dazu müssten bundesweite Standards für die volle Übernahme von Wohn- und Heizkosten eingeführt werden. „Sonst droht ein kalter Winter der Angst für Menschen in Hartz IV - und eine heiße Saison für Sozialgerichte, die für tausende Menschen Schulden und Energiesperren abwenden müsse“, sagte Tatti.

Regelungen füllen ellenlange Papiere

Dass die Verfahren zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen seit vielen Jahren Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen sind, hat auch den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge zum Handeln bewegt. Er hat schon 2014 ein vielseitiges Empfehlungspapier für die Kommunen veröffentlicht, „um unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten wie auch der Besonderheiten des Einzelfalls die Angemessenheit von Wohnkosten praxisgerecht bestimmen zu können“, so Vorstand Michael Löher.

In der Praxis ist das auch passiert, das Bemühen um Transparenz und auch gerichtsfeste Ermittlungsgrundlagen ist da. Und es führte nicht selten zu einer enormen Prüfbürokratie. So umfasst etwa das „Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft 2020“ des Hochsauerlandkreises samt Tabellen, Grafiken und Anmerkungen 41 Seiten - und listet etwa das Verfahren zur Vergleichsraumbildung auf, die Unterschiede im Mietpreisniveau, erhebt Bestands- und Neuvertragsmieten und ermittelt Wohnungsgrößenklassen.

Strom müssen Hilfebezieher selbst bezahlen

Bei den Stromkosten, die ja derzeit auch massiv steigen, ist die Sache dagegen eindeutig: Diese Kosten sind bei Hilfeempfängern über die Regelleistung zu tragen. „Bitte beachten Sie, dass das Jobcenter keine Nachzahlungen für Strom übernimmt“, heißt es auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit. Von den 449 Euro, die Empfänger pro Monat erhalten, sind 8,48 Prozent für Strom vorgesehen, also knapp über 38 Euro.

Zwar fordern Sozialverbände, weil dieser Betrag angesichts der momentanen Preissteigerung völlig unrealistisch ist, dass alle tatsächlich anfallenden Stromkosten von den Ämtern übernommen werden, doch dazu gibt es bislang keine politische Initiative. Das müsse sich ändern, so die Sozialforscherin Irene Becker, die für die Diakonie ein Gutachten zur sachgerechten Ermittlung der Regelbedarfe erstellt hat. Sie sagte der „neuen caritas“, die Stromkosten sollten analog zu den Unterkunftskosten vom Staat übernommen und ein zeitnaher Inflationsausgleich eingeführt werden.

Dirk Baas