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Jeder vierten Migrationsberatungsstelle droht das Aus




Beraterinnen der Malteser helfen Ukraine-Flüchtlingen beim Ankommen in Deutschland
epd-bild/Andrea Enderlein
Die Bundesregierung will die Gelder für die Migrationsberatung kürzen. Das ruft die Sozialverbände auf den Plan. Der Widerstand formiert sich, denn es drohe das Aus von zahlreichen Beratungsstellen für Migranten - darunter auch viele Ukraine-Flüchtlinge. Am 14. September machten sie ihrem Ärger bei einem Aktionstag Luft.

Berlin (epd). Mit Blick auf die Haushaltsberatungen im Bundestag hat die Freie Wohlfahrtspflege die Bundesregierung aufgefordert, die geplanten Kürzungen bei der Beratung von Zugewanderten zurückzunehmen. In der Migrationsberatung fehlten nach den Plänen der Bundesregierung im kommenden Jahr rund 22 Millionen Euro, teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege am 13. September in Berlin mit. Damit drohe jeder vierten Anlaufstelle in diesem Bereich das Aus - obwohl SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag eine „angemessene Förderung“ versprochen hätten.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft appellierte an die Abgeordneten des Bundestags, sich für eine starke Migrationsberatung und den Erhalt der bundesweit über 1.370 Migrationsberatungsstellen einzusetzen. Ein Bündnis von Wohlfahrtsorganisationen rief für den 14. September zu einem Aktionstag unter dem Hashtag #StarkeMigrationsberatung auf.

Lilie spricht von fatalem Signal

Der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft, Ulrich Lilie, sagte: „Flucht und Vertreibung sind nun einmal Realität. Es wäre ein fatales Signal, jetzt dringend benötigte Gelder zu streichen - nicht nur angesichts des furchtbaren Krieges in der Ukraine mit Millionen Menschen auf der Flucht.“ Die Migrationsberatung übernehme eine entscheidende Aufgabe bei der Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern.

Es gleiche einer Rolle rückwärts, wenn zunächst unter großem Aufwand Beratungsstrukturen aufgebaut und anschließend wieder vernichtet würden, sagte Lilie weiter: „Auch würden erst neu gewonnene und gut qualifizierte Fachkräfte verloren gehen, wenn über 300 Anlaufstellen schließen müssten. Kürzungen in dem Bereich stünden im krassen Widerspruch zum Koalitionsvertrag, der mit markigen Worten einen Richtungswechsel in der Einwanderungspolitik ausruft.“

AWO: Kürzung um 25 Prozent nicht hinnehmbar

Selvi Naidu, Mitglied des AWO-Bundesvorstandes, erklärte: „Die von der Bundesregierung geplante Kürzung der Förderung für die Migrationsberatung für Erwachsene macht uns fassungslos.“ Noch im Mai hatte der Bundestag den Haushaltstitel - auch im Blick auf die Folgen des Ukrainekriegs - um acht Millionen Euro erhöht. Im Haushaltsplanentwurf für 2023 sind laut AWO demgegenüber plötzlich nur noch 57 Millionen Euro vorgesehen, das sind mehr als 25 Prozent weniger als im Jahr 2022.

Die bundesweiten Dienste der Migrationsberatung erfüllten im Einwanderungsland Deutschland zentrale Aufgaben: Sie böten hoch qualifizierte Beratung und Unterstützung bei Arbeits-, Wohnungs-, Ausbildungssuche und Behördengängen. Sie beraten zu Abschlüssen, vermitteln in Sprach- oder Integrationskurse und noch vieles mehr.

Stabile finanzielle Absicherung gefordert

Bundesweit gibt es mehr als 1.300 Beratungsstellen, die AWO berät bundesweit in mehr als 240 Beratungseinrichtungen. Sie bieten seit vielen Jahren und Jahrzehnten Beratung, sind ein verlässliches Angebot für die Menschen vor Ort. „Wir brauchen einen stabilen Haushaltstitel und eine Absicherung der Ausstattung für die Folgejahre für die Migrationsberatung“, so Naidu abschließend.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) kritisierte, dass die Bundesregierung noch von einem „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik“ gesprochen hatte und nun Kürzungen im Bundeshaushalt 2023 für den Migrationsbereich an zentralen Stellen anstünden. „Sollten die vorgesehenen Kürzungen Realität werden, wird das notwendige Strukturen in der Migrationsarbeit substanziell gefährden“, sagte DRK-Vizepräsidentin Ulrike Würth am bundesweiten Aktionstag der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer am 14. September: „Wir hoffen darauf, dass der Bundestag in den Bereinigungssitzungen zum Haushalt im November an dieser Stelle für eine Kurskorrektur sorgt.“

Jede vierte Stelle in Gefahr

Die MBE sei ein seit Jahrzehnten erprobtes Instrument zur Begleitung von Zuwanderern. Das DRK unterhält nach eigenen Angaben insgesamt 110 solcher MBE, mit 210 Beratungsfachkräften. Entsprechend der derzeitigen Haushaltsplanung sei jede vierte Stelle der MBE im kommenden Jahr in Gefahr. Auch zahlreiche Projekte aus der Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration könnten perspektivisch nicht weitergeführt werden, so das DRK.

„Die Nachfrage nach unserer Hilfe überschreitet nicht erst seit diesem Jahr unsere tatsächlichen Kapazitäten“, sagte Dietlinde Kirschner vom Bayerischen Roten Kreuz (BRK) beim Aktionstag in Nürnberg. Schneller Zugang zu Hilfe, zu Sprachkursen, zu Arbeit - das mache Integration erfolgreich. „Wir brauchen die Zugewanderten und ihre Fähigkeiten in unserem Land. Sie monate- oder jahrelang ohne Perspektive im Wartemodus zu halten, kostet uns mittelfristig als Gesellschaft viel mehr als sie von Anfang an gut zu beraten“, so Kirschner weiter.

Dirk Baas, Markus Jantzer