In einer Pressemitteilung vom 9. Juni zeigt sich das Bundesfamilienministerium sehr zufrieden mit seiner Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher. Ministerin Lisa Baus (Grüne) lässt verlautbaren: „Mit der 'Fachkräfteoffensive' ist es uns gelungen, die praxisintegrierte Ausbildung (PiA) als bundesweit attraktives Ausbildungsmodell zu etablieren und neue Zielgruppen für das Berufsfeld Erzieherin zu gewinnen, darunter viele Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Das zeigt: Mit attraktiven, passenden Angeboten können wir dem Fachkräftemangel in den Kitas entgegenwirken.“
Laut der Pressemitteilung folgen viele Bundesländer den vom Bund gesetzten Standards. Das soll an dieser Stelle nicht schlecht geredet werden. Und dennoch kann niemand auch nur annähernd behaupten, dass das Problem des Erzieherinnenmangels gelöst sei.
Die Bertelsmann-Stiftung hat in einer aktuellen Studie ermittelt, dass bis ins Jahr 2030 230.000 Fachkräfte im erzieherischen Bereich fehlen: Die Lücke zwischen voraussichtlichem Angebot an Fachkräften und dem prognostizierten Bedarf für optimale Qualität in der frühkindlichen Bildung bei bedarfsgerechtem Ausbau der Plätze lasse sich in diesem Jahrzehnt nicht vollständig schließen, heißt es dort.
Das ist eine düstere Prognose und darf nicht fatalistisch hingenommen werden, denn die Anforderungen an diesen systemrelevanten Beruf steigen. Die Studie sieht Schleswig-Holstein im Vergleich zu anderen Bundesländern verhältnismäßig gut aufgestellt, und dennoch erleben die Wohlfahrtsverbände als größte Kita-Träger aktuell, dass Kitas aufgrund von Personalmangel geschlossen werden und die Kolleginnen und Kollegen in anderen Bereichen wie Jugendhilfe oder Eingliederungshilfe die Schwelle der Überlastung längst erreicht haben.
Wir Wohlfahrtsverbände glauben weder daran, dass ein Player im gesellschaftspolitischen Gesamtgefüge diese Herausforderung allein meistern kann, noch sind wir der Ansicht, dass man das Problem aussitzen darf. Wir befinden uns in einer dramatischen Situation, der gemeinsam begegnet werden muss. Wenn es keine erfolgreiche Reaktion seitens der Politik gibt, wird es nicht bei der Schließung von Kitas und einem schmerzhaften Qualitätsverlust in allen betroffenen Einrichtungen bleiben. Der Fachkräftemangel im Erzieher-Berufsfeld, das wie die Pflege immer noch überwiegend weiblich ist, wird elementare gesellschaftliche Veränderungen nach sich ziehen.
Ein Beispiel: Schließt die Kita, werden Elternteile zu Hause bleiben müssen - in der Regel Frauen in Teilzeit und/oder prekär bezahlten (Care-)Berufen. So verschärft sich nicht nur der Personalmangel an anderer Stelle, sondern wichtige Errungenschaften im Hinblick auf berufliche Chancengerechtigkeit der Geschlechter werden zurückgedreht. Und auch über die daraus resultierende Situation von Kindern und Jugendlichen sowie die der überlasteten Fachkräfte muss eingehend gesprochen werden.
Wir Wohlfahrtsverbände fordern daher von der Landesregierung einen Fachkräftegipfel für den Erzieherberuf, der diese Themen allumfänglich umfasst.
Unsere Kernforderungen schließen hier an die Initiativen des Bundesprogramms an: + Aufwertung des Berufsfelds durch Verbesserung der Rahmenbedingungen und Aufwertung des Berufsbilds durch monetäre und soziale Anerkennung
Zugegeben: Alle diese Forderungen sind nicht neu, sie wurden von den Wohlfahrtsverbänden regelmäßig erhoben und in Gesprächen mit politisch Verantwortlichen thematisiert. Die Lage erfordert nun jedoch, da viel zu lange nicht gehandelt wurde, ein entschlossenes Vorgehen. Grenzen müssen aufgebrochen werden, die neue und auch mindere Qualifikationen für kurzzeitige Lösungen zulassen werden. Wir brauchen verschiedene Wege für kurz-, mittel- und langfristige Lösungen. Alle diese Lösungen werden auf allen Ebenen Investitionen nötig machen.
Als Wohlfahrtsverbände fordern wir Arbeitsbedingungen, die es sozialarbeitenden Menschen ermöglichen, langfristig in diesem Berufsfeld zu bleiben. Es braucht einen Paradigmenwechsel und vernünftige Rahmenverträge. Doch zuallererst braucht es ein Bündnis für eine Fachkräfteoffensive, das eine Perspektive entwickelt und Übergangsmaßnahmen vereinbart.
Grundvoraussetzung ist hier ein gemeinsames Verständnis für die dramatische Lage sowie Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Leistungserbringern, Leistungsträgern und Interessengruppen. Die Wohlfahrtsverbände stehen dafür bereit, denn der Erzieherinnenberuf ist unentbehrlich: für die Kita, für die Jugendhilfe und die Eingliederungshilfe - und damit für die Gesellschaft insgesamt.