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Kostensteigerungen

Krankenkassen: Höhere Löhne in Altenpflege solidarisch finanzieren




Senioren in einem Altenheim bei Hannover
epd-bild/Nancy Heusel
Die Tariflohnpflicht in der Altenpflege soll den Beruf attraktiver machen. Doch die gesetzlichen Krankenkassen warnen vor den finanziellen Folgen für jene, die Pflegeleistungen in Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber müsse handeln - das fordern auch die Sozialverbände.

Berlin (epd). Zum Start der bundesweiten Tariflohnpflicht in der Altenpflege warnen die gesetzlichen Krankenkassen und der Deutsche Pflegerat vor den Folgen für Pflegebedürftige. „Die gesetzlichen Vorgaben sind so, dass die nun entstehenden Mehrkosten am Ende von den Pflegebedürftigen über höhere Eigenanteile bezahlt werden müssen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ am 1. September: „Das sollte der Gesetzgeber dringend ändern.“ Pflegerats-Präsidentin Christine Vogler kritisierte im rbb24 Inforadio, dass die Gegenfinanzierung fehle und bis jetzt nicht klar sei, wo das Geld für die Löhne herkomme.

Das Bundesgesundheitsministerium indes verwies zum Start der Tariflohnpflicht zum 1. September auf die seit Januar geltenden Zuschüsse bei den Eigenanteilen in Pflegeheimen und eine Erhöhung der Leistungsbeiträge in der ambulanten Pflege. Zudem seien die Pflegekassen verpflichtet, die steigenden Lohnaufwendungen bei der Vergütung von Pflegeleistungen zu berücksichtigen.

Lauterbach: Lohnzuwächse sind gewollt

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte: „Die Löhne der Pflegekräfte in den Heimen steigen erheblich, und das ist gewollt.“ Das sei ein später Dank für alle aktiven Pflegekräfte und ein gutes Zeichen an alle, die diesen wichtigen und erfüllenden Beruf ergreifen wollten. „Die Gesellschaft muss diese Leistung besser honorieren“, erklärte Lauterbach.

Der Deutsche Pflegerat begrüßte zwar, dass Beschäftigte in der Altenpflege ab sofort Anspruch auf Löhne in Tarifhöhe haben, warnte aber auch vor negativen Folgen. Verbandspräsidentin Vogler sagte im rbb24 Inforadio, die Zusage, alle Lohnerhöhungen würden von den Pflegekassen finanziert, werde derzeit nicht gehalten. In der Folge würden die Heimbewohner finanziell belastet. „Da gibt es eine soziale Ungerechtigkeit“, sagte sie.

Warnung vor dem „Kosten-Tsunami“

Der Arbeitgeberverband der privaten Pflege-Unternehmen warnte gar vor einem „Kosten-Tsunami für die Pflegebedürftigen und ihre Familien“. Verbandspräsident Thomas Greiner forderte, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) müsse sich bei der Finanzierung der Eigenanteile bewegen.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte in Dortmund: „Hier türmt sich eine große Welle auf.“ Die mehr als 20-prozentige Lohnerhöhung in der Altenpflege schlage mit der Inflation und den steigenden Energiepreisen auf die Eigenanteile der Pflegebedürftigen durch.

Kritik an überholtem Finanzierungsmodell

Die aktuelle Situation zeige, dass das geltende Finanzierungsmodell der Pflege überholt sei. Der Patientenschützer forderte, „die Pflegeversicherung muss zur Teilkasko-Versicherung werden. So wüssten Versicherte und Pflegebedürftige von Anfang an, welcher Eigenanteil zu leisten ist.“

Diakonie-Vorständin Maria Loheide sagte, steigende Löhne und steigende Energie- und Lebensmittelpreise würden weiter zu deutlich höheren Eigenanteilen für Pflegebedürftige in Pflegeheimen führen. „Wenn nicht endlich eine grundlegende Pflegereform kommt, steht das Pflegesystem absehbar vor einem Kollaps. Die Pflegeversicherung braucht eine Kompletterneuerung“, sagte Loheide.

Die Kosten für die Pflegebedürftigen müssten begrenzt werden. „Familien von pflegebedürftigen Menschen benötigen zudem eine spürbare Entlastung. Dazu ist ein sinnvolles Konzept zur Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten notwendig.“ Die Diakonie habe dazu bereits ein Konzept vorgelegt. Loheide appellierte an Bundesgesundheitsminister Lauterbach, ein Konzept für eine grundlegende Pflegereform vorzulegen.

Kosten von über 4.000 Euro erwartet

„Bald werden Heimbewohner 4.000 Euro und mehr im Monat selbst bezahlen müssen“, sagte Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung in Stuttgart. Er fordert deshalb ein sofortiges Entlastungspaket: eine Begrenzung der pflegebedingten Eigenanteile durch den Bund und ein monatliches Pflegewohngeld vom Land für jeden Heimbewohner.

„Familien, Rentner, Studierende, Geringverdiener: für alle soll es Entlastungspakete geben“, sagt Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, „doch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen hat niemand auf dem Schirm, auch nicht der zuständige Minister Lauterbach“. Dabei treffe es die Pflege bei den Kostensteigerungen besonders hart.

Weitere Belastungen ab 2023 sind schon fix

Für 2023 rechnet er mit einer Personalkostensteigerung von acht Prozent, bei den Energiekosten von 35 Prozent und bei Lebensmitteln um 15 Prozent. Dadurch erhöhen sich laut Schneider die Eigenanteile im Schnitt um 300 Euro auf durchschnittlich 3.600 Euro im Monat.

Der Bundestag hatte im vergangenen Jahr ein Gesetz verabschiedet, wonach ab September an nur noch solche Einrichtungen mit der Pflegekasse abrechnen können, die Tariflöhne, Vergütungen nach dem kirchlichen Arbeitsrecht oder Löhne mindestens in gleicher Höhe bezahlen. Von den rund 1,2 Millionen Pflegekräften wurden damals nur etwa die Hälfte nach Tarif bezahlt.

Seit 1. September müssen Beschäftigte in der Altenpflege bundesweit nach Tarif bezahlt werden. Damit könnten die Gehälter von Pflegekräften nach Expertenmeinungen um bis zu 30 Prozent steigen.

Corinna Buschow, Markus Jantzer