sozial-Thema

Kostensteigerungen

Verbände: Soziale Dienste in der Krise absichern




Seniorenheim Haus Elisabeth im sächsischen Freiberg
epd-bild/Matthias Rietschel
Gas wird teurer und teurer. Die steigenden Kosten belasten nicht nur private Haushalte mit wenig Einkommen. Auch soziale Einrichtungen wie Pflege- und Behindertenheime geraten zunehmend unter Druck. Sozialverbände fordern ein Rettungspaket des Bundes - denn die soziale Infrastruktur dürfe nicht gefährdet werden.

Berlin (epd). Mehrere führende Sozialverbände fordern von der Bundesregierung einen Energiekosten-Rettungsschirm für Pflege- und Behinderteneinrichtungen sowie andere soziale Dienste. Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa appellierte am 29. August an die Koalitionspartner, die Forderung des Patientenbeauftragten, Stefan Schwartze (SPD), nach finanziellen Hilfen für soziale Einrichtungen in das kommende Entlastungspaket aufzunehmen.

„Wir begrüßen die Forderung des Patientenbeauftragten nach einem Rettungsschirm für medizinische Einrichtungen, die wegen der hohen Energiekosten in eine finanzielle Notlage geraten. Auch die Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt im Bildungs- und Sozialwesen sowie in der Pflege sind von der derzeitigen Energiekrise betroffen“, sagte Brigitte Döcker, Vorstand der Arbeiterwohlfahrt (AWO), dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Träger haben keine finanziellen Polster

Sie verwies darauf, dass freigemeinnützige Träger keine Rücklagen bilden dürfen, sie haben also keinen Puffer und können die Kostensteigerungen durch steigende Energiepreise allein nicht stemmen. „Ohne Eingreifen der Bundesregierung droht hier eine weitere Erhöhung der Eigenanteile in Pflegeeinrichtungen, weil die Kosten irgendwie gedeckt werden müssen“, so Döcker. Das aber sei für die meisten Pflegebedürftigen in Einrichtungen schlicht nicht zu schultern und müsse unbedingt verhindert werden.

„Es ist aber nicht Aufgabe der Sozialversicherungen, das aufzufangen. Der richtige Weg wäre also, Einrichtungen, denen wegen der gestiegenen Energiepreise finanzielle Zusatzbelastungen entstehen, aus Steuermitteln zu unterstützen“, sagte die Vorständin. Gesundheit und Pflege seien eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe - hier sei Solidarität gefragt: „Dazu sollte es alsbald eine Verständigung geben.“

Infrastruktur darf nicht auf der Strecke bleiben

„Wir müssen verhindern, dass wegen der hohen Energiekosten wichtige medizinische Infrastruktur auf der Strecke bleibt“, hatte Schwartz am 27. August dem „Westfalen-Blatt“ gesagt: „Ganz viele Einrichtungen wenden sich an mich, weil sie die massiv erhöhten Energiepreise nicht mehr bezahlen können, da geht es um Erhöhungen um ein Zehnfaches. Das gefährdet Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialbereich massiv.“

Die Caritas begrüßte den Vorschlag. Präsidentin Eva Welskop-Deffaa sagte am 29. August: „Die Krisenresilienz der sozialen Infrastruktur ist eine der wesentlichen Aufgaben, an denen gute Politik heute gemessen wird.“ Zu einem Sozialstaat gehörten funktionstüchtige Hilfseinrichtungen. „Damit sie in der Lage sind, ihre Arbeit zu tun, müssen sie in Krisen abgesichert sein. Es braucht in allen Sozialgesetzbüchern Bestimmungen, um krisenbedingt höhere Kosten geltend machen zu können - einen Schutzschirm ohne Löcher“, so die Präsidentin.

Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hofft auf Hilfe des Staates. „Jetzt ist rasches Handeln der Bundesregierung gefragt: Die Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege sind systemrelevant, denn sie sind unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Sie brauchen dringend einen Rettungsschirm in Form eines Sonderfonds“, sagte Präsidentin Gerd Hasselfeldt dem epd. Denn soziale, medizinische sowie pflegerische Dienste hätten kaum eine Chance, sich aus eigener Kraft am Kapitalmarkt finanziell zu versorgen. „Wenn nicht bald politische Schritte eingeleitet werden, ist die Schließung mancher sozialen Einrichtungen nicht zu vermeiden - mit all den Konsequenzen für hilfsbedürftige Menschen“, so die DRK-Chefin.

Dienstleister brauchen Schutzschirm

Auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) unterstützte den Vorschlag, einen Schutzschirm über soziale Dienstleister zu spannen. Präsident Bernd Meurer sagte, der Patientenbeauftragte habe erkannt, wie dramatisch die Situation für Pflege- und Eingliederungshilfeeinrichtungen sowie weitere soziale Institutionen ist. „Die Energiepreise erreichen einen Höchststand nach dem nächsten und die Kosten der Einrichtungen schnellen in die Höhe.“ Die dramatische Entwicklung bei den Energiekosten bedroht laut Meurer inzwischen die pflegerische Versorgung, weil die Kosten nicht angemessen erstattet werden: „Die Einrichtungen mit einem Energiekosten-Rettungsschirm zu stützen, ist der einzig sinnvolle und gute Weg.“

Meurer schlug vor, dass die Pflege- und Eingliederungshilfeeinrichtungen während der besonders herausfordernden Phase der Energiekrise vorübergehend höhere Abschläge ihrer Energieversorger direkt bei den Kostenträgern geltend machen können und diese Mehrkosten umgehend erstattet bekommen. "Eine solche Direkterstattung der Energiemehrkosten würde schnell helfen und keine finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen mit sich bringen.

Politik sieht sich nicht in der Pflicht

Die Politik sieht sich jedoch offenbar (noch) nicht in der Pflicht, finanziell zu helfen. Das zumindest musste die Diakonie in Bayern jüngst erfahren. Ein Sprecher der Staatsregierung hatte auf Anfrage erklärt, dass aufgrund der „volatilen Entwicklung“, also der andauernden Schwankungen, momentan nicht konkret absehbar sei, wie sich die Situation der Energieversorgung in den nächsten Monaten entwickele. Auch die Bedarfe der sozialen Einrichtungen seien nicht konkret prognostizierbar. Zudem sei der Bund zuständig, hieß es.

Dem widersprach Diakonie-Präsidentin Sabine Weingärtner: „Die Energieversorger haben längst Fakten geschaffen.“ Und: In erster Linie sei nicht der Bund dafür zuständig, soziale Einrichtungen im Freistaat vor der Schließung zu bewahren.

Dirk Baas