Düsseldorf (epd). Im Interview mit dem dem Evangelischen Pressedienst (epd) zum Thema assistierter Suizid sagte Nikolaus Schneider: „Für mich gibt es Grenzfälle, in denen Menschen auch zum Sterben geholfen werden sollte, etwa wenn ihr Leben nur noch von Schmerz bestimmt wird“, sagte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In solchen Grenzfällen sei „der Suizid eines Menschen durchaus im Einklang mit dem Willen Gottes möglich“.
Zur Würde des einzelnen Menschen gehöre, dass er über sein Leben selbst bestimmen könne, „und das gilt auch für sein Sterben“, sagte Schneider, der am 3. September 75 Jahre alt wird. Selbsttötung und Assistenz zur Selbsttötung dürften aber nicht „als ein Normalfall des Lebens betrachtet werden“, unterstrich er. Das „Anrecht auf einen ärztlich assistierten Suizid“ müsse vielmehr als Ausnahme „unter Not- und Extremsituationen eingeordnet werden“.
Die grundsätzliche Aufgabe von Staat und Gesellschaft sei, Leben zu schützen, betonte der ehemalige Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Ich kann mir deshalb nur schwer lebensdienliche Regelungen vorstellen, bei denen der Suizid von Menschen staatlich organisiert wird.“ Zugleich dürfe es aber auch keinen „Zwang zum Leben“ geben: „Diese Spannung muss ausgehalten werden.“
Grundsätzlich kann sich Schneider einen assistierten Suizid auch in diakonischen Einrichtungen vorstellen. „Für mich gibt es theologisch-ethisch zwar ein normatives Nein zu Suizid und Suizidassistenz, aber kein absolutes Nein“, sagte er. „Auch in diakonischen Häusern müssen wir in theologisch-ethischen Entscheidungen mit Spannungen und Uneindeutigkeiten leben.“
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 das erst 2015 verabschiedete Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz gekippt, mit dem die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen unterbunden werden sollten. Der Bundestag ringt aktuell um eine Nachfolgeregelung. Schneider erhofft sich davon „eine möglichst große Klarheit, damit alle Rechtssicherheit haben, die in der Pflege tätig sind und sterbende oder schwerstkranke begleiten“. Diese Klarheit habe der vom Bundesverfassungsgericht kassierte Paragraf 217 des Strafgesetzbuches nicht in ausreichendem Maße geboten.
Schneider war von 2003 bis 2013 leitender Theologe der rheinischen Kirche und von 2010 bis 2014 EKD-Ratsvorsitzender. Seit Jahren diskutiert er mit seiner Frau Anne, die ebenfalls Theologin ist und eine Krebserkrankung überstanden hat, auch öffentlich kontrovers über Sterbehilfe. Anne Schneider tritt dafür ein, dass Menschen, die sterben wollen, ein Recht auf Suizidassistenz haben. In der evangelischen Kirche gibt es zu dem Thema unterschiedliche Meinungen.