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Frauen

Beginenhof: Gemeinschaft und soziales Engagement leben




Bewohnerinnen Erika Posch (li.) und Ute Hüfken im Foyer des Beginenhofs in Essen
epd-bild/Friedrich Stark
Gemeinschaft und soziales Engagement statt Einsamkeit: In Beginenhöfen leben Frauen zusammen und engagieren sich für andere. Inspiration dafür sind dabei die Beginenhöfe unabhängiger christlicher Frauen im Mittelalter.

Essen, Bielefeld (epd). Am Klingelschild eine Notiz für den Paketzusteller: „Bitte keine Pakete oder Päckchen wieder mitnehmen. Es ist immer jemand im Haus!“ Der Hinweis am stattlichen ehemaligen Finanzamt Essen-Süd bündelt wie im Brennglas, was das Leben der 28 Frauen hier im Beginenhof ausmacht: Gemeinschaft der Generationen, füreinander da sein, für die Nachbarschaft und darüber hinaus. „Wir sind hier kein 'Schöner Wohnen', sondern wir wollen in die Welt hineinwirken“, sagt die 80-jährige Ute Hüfken, Mitbegründerin des 2008 nach jahrelanger Planungs- und Umbauphase eröffneten Beginenhofes in Essen.

Quelle vielfältiger Aktivitäten

Es ist einer von 18 Beginenhöfen bundesweit von Bremen bis Blaubeuren, mit deutlicher Konzentration im Westen wie in Köln, Schwerte oder Bochum. Hinzu kommen drei kleinere Gemeinschaften und 44 Einzelbeginen. Insgesamt zählt der Dachverband der Beginen mit Geschäftsstelle in Essen 634 aktive Frauen. Die Wohn- und Wirtschaftsprojekte der Beginen sind früher wie heute keine Rückzugsorte frommer Beschaulichkeit, sondern Quelle vielfältiger Aktivitäten.

Die klosterähnlich lebenden Beginen des Mittelalters waren wirtschaftlich unabhängige fromme Frauen, die ihren Lebensunterhalt etwa als Hebammen, Lehrerinnen, Wäscherinnen oder Tuchmacherinnen verdienten und wegen ihrer praktischen Nächstenliebe in der Kranken- und Armenpflege hochgeachtet waren. Die damals schon alternative Frauenkultur erlebt seit Beginn dieses Jahrhunderts eine Renaissance, jedoch ohne verbindliche Lebensphilosophie. „Eine vorgegebene Ausrichtung, wie das Leben als Begine zu sein hat, gibt es nicht und soll es auch nicht geben“, heißt es beim Dachverband. „Das bestimmen die Frauengruppen für sich selbst.“

So ist die moderne Beginenkultur vor allem geprägt vom gemeinsamen Wohnen und dem ehrenamtlichen Engagement nach innen und außen, je nach Fähigkeiten und Vorlieben. Der Psychologin Ulrike Friebel etwa war 1999 schnell klar, dass sie mit der Diagnose Parkinson nicht allein in ihrem Reihenhaus bleiben konnte. „Als ich vom Beginenhof in Essen gehört habe, hat sich sofort mein Autopilot eingeschaltet, hier roch es nach Arbeit und nicht nach Langeweile“, sagt die 70-Jährige.

„Wir brauchen andere Lebenskonzepte“

Finanzen, Büroarbeit oder Kulturangebote wie Musik, Ausstellungen und Lesungen im weitläufigen Foyer oder im Nachbarschaftscafé „MachWatt“ gehören zu ihrem Repertoire. In einer Gemeinschaft, die „auch ohne dicke Freundschaften“ funktioniert, wie Friebel sagt. Ihre Erfahrungen hat sie mit feinem Humor im fiktiven „Tagebuch der Begine Renitenta“ im Selbstverlag veröffentlicht.

Für sein gesellschaftliches Engagement ist der Beginenhof Essen zweimal ausgezeichnet worden. 2017 mit dem Engagementpreis NRW für das offene Haus mit Praxis- und Büroräumen, Vermietungen von Foyer oder Café für Feiern, Sprachunterricht für Flüchtlinge oder Nachbarschaftsfeste im Hof unter den bunten Balkonen. 2021 folgte der Deutsche Nachbarschaftspreis NRW, der auch „neue Formen des kulturellen Miteinanders“ während der Pandemie hervorhob: Balkonsingen oder Hofkonzerte.

Die heutigen Beginen sind überwiegend ältere Frauen in der zweiten Lebenshälfte. „Jüngere haben meist nicht die Zeit für so viel Gemeinschaft, für Berufstätige ist das schwierig“, räumt Ute Hüfken ein und wünscht sich angesichts zunehmender Vereinzelung und Einsamkeit in Deutschland weitergehende Veränderungen: „Wir brauchen andere Lebenskonzepte, allein wohnen ist nicht die Zukunft“, davon ist sie überzeugt.

„Religion könnte hier mehr sein“

Neben feministischen und spirituellen Impulsen gehören für sie auch soziale und ökologische dazu. So kommt die Beginengemeinschaft etwa mit wenigen Autos, Waschmaschinen oder Staubsaugern aus, der ökologische Fußabdruck ist im Blick. Hüfken selbst hat nach einer langen Familienphase mit vier Kindern und Pfarrhaus vor gut 30 Jahren in der Beginenkultur ihren Weg gefunden - jetzt aber in einer kirchlich ungebundenen spirituellen Weite. So haben im Andachtsraum etwa auch Sufi-Mediation oder Buddhismus einen Platz.

Mitbewohnerin Erika Posch dagegen meint, „mit der Religion, das könnte hier mehr sein“, auch wenn sie selbst nicht kirchlich sozialisiert sei. Die lebhafte 83-jährige frühere Gesundheitsberaterin ist geprägt durch die Gruppe „Frauenkirche“ im Ruhrgebiet, die sich ab 1986 mit Feministischer Theologie, Matriarchatsforschung, Mythen, Märchen und alternativen Heilweisen beschäftigte. Auch diese Themen sind eine Gemeinsamkeit der Beginenhöfe.

1999 zog Posch aus Schwerte in den bundesweit ersten neuen Beginenhof im thüringischen Tännich. Er wurde 2012 aufgelöst, und sie fand später in Essen ein neues Zuhause. „Ich kann gut alleine sein, aber es ist nicht gut, dass man ganz allein ins Alter geht“, sagt sie.

Bettina von Clausewitz