sozial-Recht

Kirchengerichtshof

Diakonische Unternehmen an kirchliches Arbeitsrecht gebunden




Göttin Justitia auf dem Römerberg
epd-bild/Heike Lyding
Diakonische Einrichtungen dürfen mit einer hauseigenen Vergütungsordnung nicht das kirchliche Arbeitsrecht aushebeln. Basiert die Entlohnung nicht auf kirchlichem Recht, darf die Mitarbeitervertretung die Eingruppierung der Beschäftigten verweigern.

Hannover (epd). Diakonische Arbeitgeber dürfen nicht einseitig eine eigene Vergütungsordnung festlegen. Sie müssen diese vielmehr über den sogenannten Dritten Weg durch Arbeitsrechtsregelungen oder auf dem Zweiten Weg über kirchliche Tarifverträge im Konsens mit der Arbeitnehmerseite vereinbaren, entschied der Kirchengerichtshof (KGH) der Evangelischen Kirche in Deutschland in Hannover in einem aktuell veröffentlichten Beschluss. Die Hannoveraner Richter gaben damit der Mitarbeitervertretung (MAV) einer Einrichtung des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland recht.

„Kontinuierliche Verbindung mit der Landeskirche“

Die rechtlich selbstständige Einrichtung hatte für ihre Beschäftigten einseitig eine eigene Vergütungsordnung bestimmt. Als der Arbeitgeber von der MAV die Zustimmung zur Eingruppierung einer Mitarbeiterin verlangte, lehnte diese ab. Als diakonische Einrichtung müsse der Arbeitgeber sich an das kirchlich-diakonische Arbeitsrecht halten. Dies setze voraus, dass eine Entgeltordnung auf dem Dritten Weg über Arbeitsrechtsregelungen oder auf dem Zweiten Weg über kirchliche Tarifverträge im Konsens erstellt wurde.

Die Dienststellenleitung wollte die verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung kirchengerichtlich ersetzen lassen. Ob das angewendete Arbeitsvertragsrecht als „kirchlich-diakonisch“ zu qualifizieren sei, hänge nach dem Diakoniegesetz der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland von der Gesamtschau ab. Es sei dabei nicht zwingend erforderlich, dass die „kollektiven Arbeitsrechtsregelungen auf dem Zweiten oder Dritten Weg entstanden“ seien. Letztlich schreibe das Gesetz nur eine „kontinuierliche Verbindung mit der Landeskirche“ vor.

Doch der KGH erteilte der Dienststellenleitung eine Abfuhr. Wende ein kirchlicher Arbeitgeber eine „kirchengesetzlich nicht legitimierte Vergütungsordnung an, kann die Mitarbeitervertretung einer Eingruppierung die Zustimmung verweigern“, entschied das Gericht. Hier sei die Vergütungsordnung einseitig von der Dienststelle bestimmt worden, was kirchgengesetzlich nicht erlaubt sei.

Das Diakoniegesetz verlange die Gewährleistung einer „kontinuierlichen Verbindung zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland“, führte das Gericht aus. Dazu müssten allerdings mehrere Kriterien erfüllt sein. Neben der Verfolgung kirchlicher Zwecke und Aufgaben, der Förderung diakonischen Selbstverständnisses der Mitarbeiter und deren seelsorgerlicher Begleitung gehöre auch die Anwendung kirchlich-diakonischen Arbeitsrechts dazu. Die Erfüllung der Kriterien „in der Gesamtschau“ sei nur möglich, wenn das kirchlich-diakonische Arbeitsrecht angewendet werde, befand der KGH. Jedes Kriterium müsse erfüllt sein, ein Herauspicken einzelner Voraussetzungen sei nicht möglich.

Verdacht des Arbeitszeitbetrugs

In einem weiteren Beschluss betonte der KGH die hohen Hürden für die fristlose Kündigung eines MAV-Mitglieds. Werfe eine Dienststellenleitung dem Betroffenen Arbeitszeitbetrug vor, müsse sie für die Zustimmung der MAV zur Kündigung auch rechtzeitig ausreichende Belege des dringenden Tatverdachts mitteilen.

Im Streitfall ging es um einen niedersächsischen diakonischen Träger von Assistenzleistungen für Menschen mit Beeinträchtigung. An 30 Standorten sind rund 900 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, darunter auch der am Verfahren beteiligte 53-jährige Beschäftigte. Dieser arbeitet seit Juni 1992 in der Einrichtung. Er gehört seit 2005 der MAV an, deren freigestellter Vorsitzender er bis Oktober 2020 war.

Im Oktober 2020 kündigte der Arbeitgeber dem Mann wegen des Verdachts des Arbeitszeitbetrugs fristlos. Die Dienststellenleitung hatte ihm nach Abgleich von Stempelzeiten, seinem Outlook-Kalender und Fahrtenbüchern vorgeworfen, wiederholt Wegezeiten für den Weg zwischen seinem Wohnort und dem Büro der Mitarbeitervertretung als Arbeitszeit abgerechnet zu haben.

Der Beschäftigte gab an, dass er sich an seinem Wohnort ein- oder ausgestempelt hatte, wenn er dort einen Termin hatte oder er zu einem auswärtigen Termin mit dem an seinem Haus geparkten Dienstfahrzeug gefahren sei. Die Aufforderung des Arbeitgebers, für das Jahr 2019 und von 1. Januar bis 15. September 2020 für jeden Tag die Stempelzeiten zu begründen, lehnte der Beschäftigte als unzumutbar ab. Die Dienststelle beantragte daraufhin bei der MAV ohne Erfolg die Zustimmung zur fristlosen Kündigung.

MAV wurde unzureichend informiert

Der KGH entschied, dass die Zustimmung zur Kündigung schon deshalb nicht erteilt werden könne, weil die MAV unzureichend über die Tatsachen unterrichtet wurde. Die vorgelegten Stempelkarten begründeten keinen dringenden Tatverdacht für einen Arbeitszeitbetrug. Aus ihnen ließen sich keine Rückschlüsse auf die vom Beschäftigten entfalteten Tätigkeiten ziehen. Es sei nicht zu erkennen, warum eine Arbeitszeitpflichtverletzung vorliege, wenn der Beschäftigte seine Tätigkeit bereits an seinem Wohnort aufgenommen hat.

Demgemäß gebe es auch keine Grundlage, die Zustimmung der MAV zur Kündigung zu ersetzen. Reiche die Unterrichtung der MAV zur Kündigung nicht aus, „kann der Tatsachenvortrag nicht erst im Verfahren vor den Kirchengerichten erfolgen“, betonte der KGH. Denn das Verfahren vor den Kirchengerichten diene der Frage, ob die MAV aufgrund der ihr mitgeteilten Tatsachen die Zustimmung hätte erteilen müssen. Ohne ausreichende mitgeteilte Tatsachen scheide eine gerichtliche Ersetzung der Zustimmung der MAV aus.

Az.: I-0124/7-2020 (Umfang kirchliches Arbeitsrecht)

Az.: I-0124/23-2021 (Kündigung MAV-Mitglied)

Frank Leth