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Seemannsmission

"Duckdalben"-Chef will falsches Bild einer Seefahrer-Idylle zerstören




Sören Wichmann
epd-Nord/Evelyn Sander

Hamburg (epd). Der neue Leiter des Hamburger Seemannclubs „Duckdalben“, Sören Wichmann, sieht Seeleute zunehmend überlastet. „Durch Corona, verbotene Landgänge und den Krieg in der Ukraine leiden Seeleute besonders unter zunehmendem Stress und Isolation“, zog Wichmann in einem epd-Gespräch eine erste Bilanz. Die Zahl der Seeleute mit psychischen Störungen sei enorm gestiegen, auch die Zahl der Unfälle an Bord und der Suizide hätten zugenommen. Gründe seien wenig Kontakt, kaum Bewegung und zu wenig Schlaf im Arbeitsalltag an Bord. „Manche Seeleute sagen, sie opfern sich für ihre Familie“, sagt der Sozialarbeiter.

Zusammenleben an Bord

Und jetzt auch noch Krieg. Offene Konflikte zwischen den russischen und ukrainischen Seeleuten seien an Bord eher selten, beobachtet Wichmann. Er schätzt, dass weltweit 70.000 ukrainische und 200.000 russische Seeleute unterwegs sind, auch in gemischten Crews. „Wenn dann jemand ein Foto von seinem zerstörten Haus in Mariupol bekommen hat, kann die Stimmung aber schon mal umschlagen“, sagt der 28-Jährige, der regelmäßig Umfragen unter den Seeleuten macht. Gemeinsam mit Kollegen hat er Notfallkarten entwickelt, die er an Schiffsbesatzungen weitergibt. Die Karten geben Tipps zur Konfliktlösung und besseren Kommunikation und sollen so das Zusammenleben an Bord erleichtern.

Während der Pandemie hätten viele Reedereien den Landgang untersagt, weil sie Infektionen in der Crew verhindern wollten. „Die Situation normalisiere sich langsam“, so der junge Chef, der früher Gitarrist in einer Punkrock-Band war. Im Duckdalben bietet er für Seeleute neben der Notfallseelsorge auch praktische Hilfe wie etwa kostenfreie Corona-Impfungen. Über 6.000 hätten das Angebot genutzt und die Nachfrage sei weiterhin hoch, so Wichmann.

Reedereien erzielten 2021 Milliardengewinne

Der junge Chef will helfen, aber auch die Gesellschaft aufklären: Wenn ein Containerschiff bei Sonnenuntergang in den Hafen fährt, sehen die meisten Menschen nur die Idylle. Für ihn ein falsches Bild: „Ich denke an die elf, zwölf Menschen, die auf dem Riesenschiff unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden“, so Wichmann. Es ist dieses Ungleichgewicht, dass ihn umtreibt. Ausgerechnet während der Corona-Pandemie explodierten die Preise, Reedereien erzielten 2021 Milliardengewinne. „Sie verdienen sich eine goldene Nase, aber bei den Seeleuten kommt nichts an“, so Wichmann.

Immerhin hat vor wenigen Wochen das internationale Seearbeitsübereinkommen „Maritime Labour Convention“ (MLC) bessere Standards beschlossen: So müssten Redereien künftig kostenfrei Trinkwasser, eine persönliche Schutzausrüstung und Internetverbindungen zu angemessenen Gebühren anbieten. Europäische Seeleute seien oft vier Monate an Bord, philippinische seien im Durchschnitt neun Monate unterwegs, weiß Wichmann. Mit dem Internetzugang könnten Seeleute zumindest leichter Kontakt zur Familie halten. „Die beste Therapie gegen Einsamkeit.“

Evelyn Sander