sozial-Recht

Bundesverfassungsgericht

Jobcenter kann nach Auszug der Kinder Eigenheimverkauf verlangen




Eigenheimsiedlung
epd-bild/Caro/Oberhäuser
Auf Hartz IV angewiesene Menschen können nach dem Auszug ihrer Kinder aus dem Eigenheim nicht darauf vertrauen, dass sie weiter in der Immobilie wohnen können. Das Jobcenter darf den Verkauf des Hauses verlangen, wenn es unangemessen groß geworden ist.

Karlsruhe (epd). Ein angemessenes Eigenheim für eine achtköpfige Familie kann nach dem Auszug der Kinder dem Anspruch der Eltern auf Arbeitslosengeld (Alg) II entgegenstehen. Denn ist das Haus für die Bewohner nun unangemessen groß geworden, kann das Jobcenter zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums den Verkauf der Immobilie verlangen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 2. Juni veröffentlichten Beschluss. Bis zum Verkauf können mittellose Bewohner dann nur noch Anspruch auf Alg II auf Darlehensbasis haben.

Wohnfläche von 144 Quadratmetern

Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist bei Hartz-IV-Beziehern das selbst bewohnte Wohneigentum eigentlich als Schonvermögen geschützt. Das Jobcenter darf „ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung“ nicht als zu verkaufendes Vermögen berücksichtigen.

Im Streitfall meinte ein Ehepaar aus dem Raum Aurich, dass ihnen ihr Eigenheim verbleiben muss. Das Paar war mit seinen sechs Kindern 1997 in das Haus mit einer Wohnfläche von 144 Quadratmetern eingezogen. Im April 2013 zog das letzte Kind aus. Nachdem der Ehemann, Eigentümer der Immobilie, mittlerweile eine Altersrente bezog, beantragte seine Frau 2018 wegen knapper finanzieller Mittel beim Jobcenter Hartz-IV-Leistungen.

Das Jobcenter entschied, dass die Eheleute das Haus mit einem Verkehrswert von 132.000 Euro zur Sicherung ihres menschenwürdigen Existenzminimums verkaufen müssen. Zu zweit sei das Haus viel zu groß und damit unangemessen. Angemessenen seien bei einem Zwei-Personen-Haushalt 90 Quadratmeter. Nur ein „selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung“ dürfe nicht als zu verwertendes Vermögen herangezogen werden, erklärte das Jobcenter mit Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen. Bis zu einem möglichen Verkauf könne das Paar Hartz-IV-Leistungen nur noch auf Darlehensbasis und nicht mehr als Zuschuss erhalten.

Vermögen nicht geschützt

Die Frau zog daraufhin vor Gericht. Das Haus sei nicht verwertbar. Es sei für eine Familie mit sechs Kindern konzipiert worden. Wenn sie es jetzt verwerten müsse, werde sie benachteiligt, weil sie früher Kinder erzogen habe.

Das Sozialgericht Aurich gab ihr recht und hielt das Vorgehen des Jobcenters für verfassungswidrig. Das Ehepaar habe in seiner vorangegangenen Lebensphase Kinder betreut und eine größere Wohnung vorhalten müssen. Es sei diskriminierend, wenn dieses Vermögen nun nicht mehr geschützt sei.

Doch das Bundesverfassungsgericht entschied, dass es „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“ sei, wenn sich die Angemessenheit eines Eigenheims nach der aktuellen Zahl der Bewohner richtet. Die Karlsruher Richter billigten damit auch die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel.

Dieses hatte am 12. Oktober 2016 geurteilt, dass bei einem späteren Auszug der Kinder aus dem Eigenheim die Unterkunft für die verbliebenen Hilfebedürftigen zu groß und nicht mehr angemessen sein kann. In diesem Fall kann, so das BSG, das Jobcenter letztlich den Verkauf der Immobilie verlangen, damit von dem Erlös das Existenzminimum gesichert werde. Bis zum Verkauf haben Hartz-IV-Bezieher dann nur noch Anspruch auf Arbeitslosengeld II auf Darlehensbasis. Nur wenn der Verkauf der Immobilie „offensichtlich unwirtschaftlich“ sei oder ein Härtefall vorliege, könnten Hartz-IV-Leistungen als Zuschuss gewährt werden.

Verkauf zwecks Existenzsicherung

Die Verfassungsrichter verwiesen im aktuellen Fall auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Gewährung von Sozialleistungen. Das Bundesverfassungsgericht könne dabei nicht prüfen, „ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat“.

Im System der Grundsicherung habe er danach festlegen dürfen, dass staatliche Leistungen nur „nachrangig“ gewährt werden. Nach dem Grundgesetz dürften „soziale Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz nur dann zur Verfügung“ gestellt werden, „wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können“.

Allein bei Bedürftigkeit seien damit Sozialleistungen zu gewähren. Sei das Eigenheim wegen des Auszugs der Kinder nun unangemessen groß für die verbliebenen Bewohner, liege keine Bedürftigkeit vor. Der Verkauf der Immobilie sei dann zur Existenzsicherung zumutbar. „Denn auch der soziale Rechtsstaat ist darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen aktuell Bedürftigkeit vorliegt“, heißt es in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.

Es verstoße auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn im System der Grundsicherung von „allen Betroffenen gleichermaßen die Verwertung von aktuell unangemessen großem Wohneigentum abverlangt“ werde, ohne danach zu unterscheiden, „ob es sich um schon immer in diesem Sinne unangemessen großes Wohneigentum handelt oder ob es früher mit Kindern bewohnt wurde und vor deren Auszug angemessen war“.

Az.: 1 BvL 12/20

Az.: B 4 AS 4/16 R

Frank Leth