Berlin (epd). Der Bundestag hat am 18. Mai kontrovers über eine mögliche Neuregelung der Sterbehilfe diskutiert. Während Abgeordnete auf der einen Seite für ein strafbewehrtes Schutzkonzept zur Regulierung der Hilfe bei der Selbsttötung plädierten, betonten die anderen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Nach gut anderthalbstündiger Debatte ist noch völlig offen, welche Regelung der Gesetzgeber am Ende beschließen könnte. Die Debatte sollte zunächst der Orientierung vor allem der vielen neuen Abgeordneten dienen.
Das Thema berührt ganz besonders die Kirchen und ihre Wohlfahrtverbände. Nach langem Ringen hatten vor der Bundestagsdeabtte die Evangelische Kirche in Deutschland und die Diakonie eine gemeinsame Linie für eine neue Sterbehilfe-Regelung gefunden. In einer am 18. Mai veröffentlichten Mitteilung forderten sie ein Suizidpräventionsgesetz. Prävention müsse allem anderen vorgehen, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus. Gleichzeitig veröffentlichte die Diakonie ein Papier zu der Frage, ob Hilfe beim Suizid auch in kirchlichen Einrichtungen denkbar ist. Das solle nur in Ausnahmen der Fall sein, heißt es darin. Damit weicht die evangelische Kirche aber dennoch von einer früheren strengeren Position ab.
Das Papier hält es aber für denkbar, wenn Mitarbeiterinnen und Betreuer diesen Weg eines Sterbewilligen begleiten, wenn der Suizid nicht abzuwenden ist. Damit schließt sie die Form der Sterbehilfe anders als die katholische Caritas nicht komplett aus.
Die Caritas forderte vor der Debatte verbesserte Suizidprävention - gerade auch für ältere Menschen. „Ebenso unverzichtbar sind weitere Anstrengungen für einen bedarfsgerechten Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung und die Gewährleistung guter Betreuung durch ausreichend qualifiziertes Personal in der stationären und ambulanten Altenhilfe“, betonte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.
Für die Einrichtungen und die Beschäftigten in den eigenen Diensten sei es wichtig zu bekräftigen: „Niemand ist verpflichtet, an einem Suizid mitzuwirken.“ Dieser vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Grundsatz gelte für natürliche Personen, aber auch für Träger von Einrichtungen und Diensten. „Das Gesetz muss dies klarstellen. Die Pandemie-Erfahrung hat gelehrt: Wir brauchen eine soziale Infrastruktur mit Räumen für das Leben, in denen sich Menschen bis zuletzt in sorgenden Händen gut aufgehoben fühlen“, sagte die Präsidentin.
Die Debatte im Plenum hat eine längere Vorgeschichte: 2015 beschloss der Bundestag ein Verbot der auf Wiederholung angelegten sogenannten geschäftsmäßigen Förderung der Hilfe bei der Selbsttötung. Er wollte damit Sterbehilfevereinen beikommen, die diese in Deutschland grundsätzlich erlaubte Form der Sterbehilfe anbieten. Sie überlassen Sterbewilligen ein tödlich wirkendes Medikament, verabreichen es aber nicht. Das wäre verbotene Tötung auf Verlangen.
2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das Verbot organisierter Suizidassistenz. Die Richter urteilten, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, für einen Suizid Hilfe in Anspruch zu nehmen - unabhängig von Krankheit oder Alter.
Das Urteil sei in gewisser Weise eine Zumutung, sagte der SPD-Abgeordnete Helge Lindh im Bundestag. Er sei aber der Auffassung, dass daraus keine Zumutung für die Betroffenen und Helfer gemacht werden dürfe, sondern die Zumutung ertragen werden müsse, sagte er. Lindh ist Mitunterzeichner eines Entwurfs, der Suizidhilfe durch Medikamente nach einer Beratung des Betroffenen grundsätzlich erlauben will. Es gebiete die Menschlichkeit, Betroffene mit ihrem Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht mehr alleine zu lassen und sie nicht weiter auf risikoreichere Methoden, gar auf Brutalsuizide zu verweisen, sagte die Initiatorin dieses Entwurfs, Katrin Helling-Plahr (FDP).
Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling stellte in seiner Rede dagegen den Schutz des Lebens in den Mittelpunkt. Ein Suizid könne nicht revidiert werden. Es sei wichtig, dass sich der Staat schützend vor das Leben des Einzelnen stellt. Heveling plädiert gemeinsam mit anderen Abgeordneten dafür, organisierte Suizidbeihilfe erneut grundsätzlich zu verbieten, dabei aber Ausnahmen nach ärztlicher Begutachtung zuzulassen.
Verbunden ist der von Heveling mitgezeichnete Antrag mit einem Antrag zur Suizidprävention. Er wolle nicht „mehr Möglichkeiten zum Sterben, sondern Hilfe und Unterstützung zum Leben“, sagte der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci, der neben weiteren Abgeordneten von Grünen, FDP und Linken zu dieser Abgeordnetengruppe gehört.
Ein dritter Vorschlag stammt von Abgeordneten um die Grünen-Politikerin Renate Künast, die bei den Hürden im Zugang zu todbringenden Mitteln zwischen Menschen in einer medizinischen Notlage und solchen, die das nicht sind, unterscheiden will. Klar sei, dass es eine Regelung geben müsse, sagte Künast. Es gehe um Schutzmechanismen, Beratung und Zuverlässigkeitsüberprüfungen. Es müsse Transparenz darüber geben, wie Suizidassistenz ablaufe. Sie stellte infrage, dass dies derzeit bei Sterbehilfeorganisationen der Fall ist.
Nach der ersten Orientierungsdebatte können im Parlament noch weitere Anträge dazukommen. Nach bisheriger Planung soll es noch im Sommer eine erste Lesung der Gesetzentwürfe geben, im Herbst die Abstimmung. Dabei ist wie bei Gewissensfragen üblich der Fraktionszwang aufgehoben. Welcher Vorschlag am Ende die größte Unterstützung erhält, ist auch deswegen noch schwer absehbar.