Hamburg (epd). Durch die Corona-Pandemie haben sich nach Ansicht eines Hamburger Suchthilfeexperten die Suchtprobleme verschärft. Die Corona-Krise habe viele Menschen verunsichert, Alkohol oder Tabletten würden genutzt, um mit schwierigen Gefühlen besser fertig werden zu können, sagte Derek Nordt, ehrenamtlicher Suchthelfer und Vorsitzender von den Guttempler Hamburg dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch: „Alkohol macht diese Angst nur noch schlimmer“, weiß Nordt, der seit 15 Jahren ehrenamtlich Selbsthilfegruppen leitet. Zugleich beklagte er, dass Alkohol immer noch in der Gesellschaft verharmlost werde.
Dabei habe sich die Art der Abhängigkeit verändert: „Den reinen Alkoholiker gibt es kaum noch“, beobachtet Nordt. Mittlerweile werde Alkohol oft mit Tabletten und anderen Rauschmitteln kombiniert, um sich für den Job aufzuputschen.
„Die Betroffenen sind gut ausgebildete, junge Menschen, die den Leistungsdruck sonst nicht aushalten.“ In seinen Selbsthilfegruppen sitzen heute vor allem 30-Jährige. Nordt: „Im Durchschnitt sind sie zehn Jahre jünger als früher.“ Nicht wenige leiden auch unter psychischen Krankheiten wie Panikattacken. Ein Trend, der seine Arbeit schwieriger mache. „Es ist nicht leicht zu erkennen, ob jemand ein echtes Suchtproblem hat oder einfach nur einsam ist und in den Arm genommen werden muss.“
In der Gruppe dürfe jeder einfach sein, wie er ist, „auch wenn er mal schlecht drauf ist“. Dieser persönliche Austausch sei der Schlüssel, um Menschen im suchtfreien Alltag zu helfen. Umso schlimmer habe die Sucht-Selbsthilfe unter dem Corona-Lockdown gelitten. „Es war ein absoluter Schock, als wir uns wegen des Kontaktverbots nicht treffen durften“, erinnert sich der 57-Jährige. Durch den Ausfall der Gruppen habe sich das Rückfallrisiko erhöht. Betroffene litten unter Vereinsamung, es fehlte der Austausch auf Augenhöhe, der Rückhalt und die Geborgenheit der Gruppe.
Neue Wege und Alternativen waren gefragt: Unter Corona-Bedingungen fanden Treffen in kleinstem Kreis draußen statt, dazu gab es neue Online-Meetings, Guttempler initiierten eine 24-Stunden-Telefon-Hotline, ein „Sober-Guide“ mit telefonischer und virtueller Betreuung sowie die virtuelle Selbsthilfegruppe „Back me up“ wurden aufgebaut.
„Trotz Corona-Einschränkungen hatten wir kaum Rückfälle“, freut sich der Hamburger Guttempler-Vorsitzende. Insgesamt nahmen im ersten Corona-Jahr 2020 rund 15.000 Personen eine Hamburger Suchthilfe in Anspruch, so der aktuelle Bericht der Hamburger Basisdatendokumentation. Rund 30 Prozent suchten Hilfe wegen einer Alkoholproblematik, knapp ein Viertel konsumierten Opioide, etwa jede fünfte Person Cannabis und jede achte Person konsumierte Kokain.
Wie wichtig Selbsthilfegruppen sind, weiß Nordt auch aus eigener Erfahrung: „Ich war 30 Jahre süchtig, habe einige Entzüge hinter mir und habe nur durch die Sucht-Selbsthilfe den Mut gehabt, den Entzug durchzuziehen“, so Nordt. Er habe in der Guttempler-Gruppe plötzlich dieses „warme Gefühl im Bauch“ gespürt, habe sich Zeit genommen für seine „eigene Seelenwanderung“, habe neue Freunde gefunden und gelernt zu reflektieren. „Es ist viel mehr als einfach nur eine Gruppe, es ist wie eine Familie.“ Mit seinem ehrenamtlichen Engagement wolle er etwas zurückgeben.