sozial-Recht

Bundesverfassungsgericht

Zwangsräumung darf nicht Leben und Gesundheit gefährden



Karlsruhe (epd). Die Zwangsräumung eines psychisch schwer kranken 78-jährigen Mieters darf nicht zu einer deutlichen Verschlechterung seiner Gesundheit führen. In solch einem Fall darf eine Wohnung nicht zwangsgeräumt werden, stellte das Bundesverfassungsgericht in einem am 6. Mai veröffentlichten Beschluss klar. Die Karlsruher Richter gaben damit dem Antrag auf einstweilige Anordnung eines alleinstehenden Rentners aus dem Raum Starnberg statt und stoppten vorläufig die beabsichtigte Zwangsräumung des Mannes.

Der Vermieter hatte dem 78-Jährigen gekündigt und schließlich ein Zwangsräumungsurteil erwirkt. Der Anwalt des Mannes legte dagegen eine noch nicht entschiedene Verfassungsbeschwerde ein und beantragte zugleich, die drohende Räumung wegen einer damit einhergehenden deutlichen Verschlechterung der Gesundheit auszusetzen.

Räumung zumindest aufgeschoben

Das Bundesverfassungsgericht stoppte daraufhin vorläufig die Zwangsräumung. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, dürfe der psychisch Kranke in der Mietwohnung bleiben. Ob die Verfassungsbeschwerde erfolgreich sei, sei offen. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass bei einer Zwangsräumung sich die Gesundheit des Mannes rapide verschlechtert und sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt werde.

In solch einem Fall sei es dem Vermieter zuzumuten, dass die Räumung der Wohnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufgeschoben wird. Hier sei der Mann nicht fähig, einen freien Willen zu bilden. Er leide an Wahnstörungen und einer beginnenden Demenz. Laut Gutachter lägen die Voraussetzungen für die Einrichtung einer umfassenden Betreuung vor. Wegen seines komplexen Krankheitsbildes sei er nicht in der Lage, selbstständig eine Umzug zu vollziehen oder sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden. Dies alles rechtfertige den vorübergehenden Verbleib in der Wohnung.

Interessenausgleich zwischen Vermieter und Mieter

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hatte am 22. Mai 2019 ähnlich entschieden. Eine Eigenbedarfskündigung können danach Mieter zwar nicht mit einem pauschalen Verweis auf ihr Alter, ihre Gesundheit oder ihre lange Mietdauer aushebeln. Führen sie aber wegen des vom Vermieter geforderten Umzugs konkrete Hinweise auf eine drohende erhebliche Gesundheitsverschlechterung an, müssen Gerichte künftig von Amts wegen regelmäßig ein Sachverständigengutachten dazu einholen und gegebenenfalls die Räumung stoppen.

Macht ein Räumungsstreit auch den Vermieter auf Dauer psychisch krank, kann ein Interessenausgleich zwischen Vermieter und einer ebenfalls kranken Mieterin erforderlich sein, entschied der BGH in einem Beschluss vom 16. Juni 2016. Könne sich die gesundheitliche Situation der Mieterin mit einer Therapie bessern, könne für den Vermieter die Räumung der Wohnung nach Abschluss der Behandlung infrage kommen.

Az.: 2 BvR 447/22 (Bundesverfassungsgericht)

Az.: VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17 (Bundesgerichtshof, Gutachten)

Az.: I ZB 109/15 (Bundesgerichtshof, Interessenausgleich)