Westerstede (epd). Andrea Warnken ist das wohl Schlimmste passiert, was einem Elternteil widerfahren kann. Ihr Sohn Hannes starb im Kinderwagen den plötzlichen Kindstod. „Es hat uns völlig unvorbereitet getroffen“, sagt die 32-Jährige und kämpft mit den Tränen. Hannes wurde nur 16 Wochen und sechs Tage alt.
Es geschah vor dreieinhalb Jahren beim täglichen Gang zum Bäcker, berichtet die junge Frau, die mit ihrer Familie im niedersächsischen Westerstede lebt. Hannes lag im Kinderwagen und hat friedlich geschlafen. „Er war nicht krank“, sagt sie. „Warum hätte ich ihn wecken sollen?“ Erst später habe sie bemerkt, dass etwas nicht stimmt.
Der Tod von Hannes sei für sie, ihren Mann und die kleine Tochter schon schlimm genug gewesen, sagt Warnken. Regelrecht fassungslos habe sie aber gemacht, dass Bekannte sie plötzlich mieden und die Straßenseite wechselten. „Ich hatte das Gefühl, der Tod meines Kindes steht mir auf die Stirn geschrieben.“
Warnken fiel in ein tiefes Loch, hatte kaum noch Kraft, sich Dingen zu widmen, die ihr Leben zuvor bereichert hatten. „Noch nicht einmal meine Leidenschaft, das Nähen, hat mir noch Freude gemacht. Ich habe mich stattdessen von TV-Serien berieseln lassen. Alles war so sinnlos.“
Nach den Erfahrungen von Hildegard Jorch reagieren viele Eltern so wie Andrea Warnken. „Der Tod eines Kindes ist für alle extrem belastend“, sagt die Präsidentin der „Gemeinsamen Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod Deutschland“. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahrzehnten mit dem Phänomen. Zwar gebe es mögliche Risikofaktoren für den plötzlichen Kindstod, aber nach wie vor seien keine eindeutigen Ursachen bekannt.
Jorch zufolge ist die Zahl der plötzlichen Kindstode, auch „Sudden Infant Death“ genannt, in den vergangenen Jahrzehnten gesunken. Dies sei unter anderem auf Präventionsmaßnahmen zurückzuführen, etwa die Vermeidung der Bauchlage beim Schlafen, erläutert die Expertin.
Waren es noch in den 1990er Jahren allein in Nordrhein-Westfalen jährlich bis zu 900 Säuglinge, die in ihrem ersten Lebensjahr ohne erkennbaren medizinischen Grund plötzlich starben, seien es heute bundesweit nur noch rund 150. Die meisten Fälle treten Jorch zufolge im Alter zwischen zwei und sechs Monaten auf. Später nimmt das Risiko stetig ab und sinkt bis zum zweiten Geburtstag auf null. Jungen sind etwas häufiger betroffen als Mädchen.
Häufig werden die betroffenen Eltern für den Tod ihres Kindes verantwortlich gemacht, hat Jorch beobachtet. Doch Hilfe zu finden, etwa in Gesprächsgruppen, sei schwer. „Denn so erfreulich es ist, dass deutlich weniger Kinder diesen Tod sterben, um so schwieriger ist es für die Eltern, Menschen in der Nähe zu finden, die gleiches erlitten haben.“
Gruppen für verwaiste Eltern oder auch für Eltern totgeborener Kinder seien nur bedingt geeignet. Nicht selten werde das Ausmaß der Trauer am Lebensalter der Kinder gemessen und von denen, die ein älteres Kind verloren haben, infrage gestellt. „Das ist bedauerlich, denn Trauer kann nicht verglichen und darf nie gewertet werden“, betont Jorch: „Jeder Mensch trauert auf seine Weise.“
Dass Menschen unterschiedlich trauern, musste auch Andrea Warnken erst verstehen. „Mein Mann trauert anders, aber nicht weniger um Hannes.“ Während sie überhaupt nicht mehr arbeiten wollte, habe sich ihr Mann ganz in die Arbeit gestürzt.
Andrea Warnken hat noch eine ältere Tochter und inzwischen auch einen jüngeren Sohn, der unternehmungslustig über den Fußboden robbt. „Er hat vor kurzem seinen ersten Geburtstag überstanden“, sagt sie und lächelt. „Er hat mir gezeigt, dass mir wieder Gutes passieren kann.“ Obwohl das Risiko des plötzlichen Kindstods nach dem ersten Geburtstag enorm sinkt, überwacht nach wie vor ein Monitor den Schlaf des Jungen. Dadurch sei sie weniger ängstlich.
Doch was hilft am Ende wirklich gegen den Kummer? „Man muss wissen, dass man darüber reden darf“, betont Andrea Warnken. Mittlerweile hat sie auch Kontakt zu anderen Familien, die ein Kind verloren und ihr Mut gemacht haben: „Sie haben gesagt, es wird auch wieder bessere Tage geben.“ Entscheidend sei für sie die Erkenntnis, dass Gefühle ein Ventil brauchen. Für Andrea Warnken ist dieses Ventil ihr Instagram-Kanal „wunder.glaube.glueck“. „Da kann ich über Hannes schreiben, wenn mir danach ist. Das ist meine Form der Trauerbewältigung“, sagt sie.