sozial-Recht

Bundessozialgericht

Sozialhilfe muss nach wahnhafter Hausratentsorgung Möbel bezahlen




Justitia-Figur auf dem Römerberg in Frankfurt am Main
epd-bild/Heike Lyding
Hartz-IV- und Sozialhilfebezieher können bei einer Haushaltsgründung und in außergewöhnlichen Fällen eine Wohnungserstausstattung verlangen. Dies gilt auch dann, wenn eine psychisch kranke Person ihr Mobiliar im Wahn auf der Straße entsorgt hat, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Psychisch kranke Menschen können für ihre im Wahn auf die Straße gestellten Möbel und ihren Hausrat von der Sozialhilfe eine finanzielle Beihilfe für neue Einrichtungsgegenstände verlangen. Denn geht die Möbelentsorgung nicht auf einen Verschleiß, sondern auf einen wahnhaften Krankheitsschub zurück, stellt dies nach dem Willen des Gesetzgebers einen plötzlich auftretenden außergewöhnlichen Umstand dar, der eine erneute Ersatzbeschaffung begründet, urteilte am 16. Februar das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.

Paranoide Schizophrenie

Gesetzlich ist der Anspruch auf eine „Wohnungserstausstattung“ auf Kosten des Jobcenters oder der Sozialhilfe nur in bestimmten Fällen vorgesehen, etwa wenn wegen einer Haushaltsgründung Einrichtungsgegenstände angeschafft werden müssen. Auch nach einem Wohnungsbrand oder nach einem Haftaufenthalt kann ausnahmsweise ein Anspruch auf eine „Wohnungserstausstattung“, faktisch eine Ersatzbeschaffung, bestehen. Muss dagegen Mobiliar aufgrund von Verschleiß ersetzt werden, ist dies aus dem Regelsatz zu bezahlen. Allenfalls kann es ein Darlehen geben.

Im jetzt vom BSG entschiedenen Fall ging es um eine Frau aus Freiburg, die aufgrund ihrer paranoiden Schizophrenie auch an Wahnvorstellungen leidet. Die Sozialhilfebezieherin hörte dabei nicht nur Stimmen oder führte Gespräche mit Engeln, Teufeln oder Dämonen, sie war während eines Krankheitsschubes Anfang 2016 im Wahn auch davon überzeugt, dass ihre Möbel und ihr Hausrat „verflucht“ oder „vergiftet“ seien. Sie entsorgte daraufhin weite Teile ihrer noch funktionsfähigen Wohnungseinrichtung und ihres Hausrats auf der Straße.

Für die Frau wurde eine Betreuung eingerichtet. Als sie nach mehreren Klinikaufenthalten eine neue Wohnung bezog, beantragte sie beim Sozialamt eine finanzielle Beihilfe für eine Wohnungserstausstattung.

Doch die Stadt Freiburg lehnte als Sozialhilfeträger die Beihilfe ab. Sie habe ja schon voll funktionsfähige Möbel gehabt, so dass kein Anspruch auf eine Erstausstattung bestehe. Zwar sei auch bei außergewöhnlichen Umständen eine „Ersatzbeschaffung“ möglich. Die Voraussetzungen hierfür lägen aber nicht vor. Die Stadt bezog sich auf ein Urteil des BSG vom 6. August 2014 im Fall eines drogenabhängigen Hartz-IV-Beziehers: Danach könne bei einer Suchterkrankung kein neues Mobiliar für vorzeitig verschlissene Einrichtungsgegenstände verlangt werden.

„Von außen“ einwirkende Umstände

Der Anspruch auf eine Wohnungsausstattung setze nach dieser Rechtsprechung ein besonderes Ereignis und „von außen“ wirkende, plötzlich auftretende Umstände voraus, die zur Unbrauchbarkeit des Mobiliars und der Haushaltsgegenstände geführt haben. Hier seien die Möbel krankheitsbedingt im Wahn, also aufgrund „von innen“ wirkenden Umständen entsorgt worden, meinte die Stadt.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart sprach der Frau jedoch eine Beihilfe für die Ersatzbeschaffung von Möbeln in Höhe von 771 Euro zu. Die Möbel seien krankheitsbedingt unter außergewöhnlichen Umständen entsorgt worden. Auch lägen „von außen“ einwirkende Umstände vor. Das BSG habe in seinem Urteil von 2014 gemeint, dass Umstände außerhalb eines Abnutzungsverhaltens vorliegen müssen.

Das BSG sprach nun der Frau ebenfalls die Beihilfe für die Ersatzbeschaffung zu. Der Sozialhilfeträger müsse aber keinen Hausrat wegen Verschleiß ersetzen. Eine Ersatzbeschaffung komme ausnahmsweise infrage, wenn wegen eines außergewöhnlichen, plötzlich auftretenden Umstandes die Einrichtungsgegenstände unbrauchbar geworden sind. Der Gesetzgeber nenne hier als Beispiel einen Wohnungsbrand oder die Situation nach einer Haftentlassung.

Bei dem erheblichen Krankheitsschub der Klägerin habe es sich ebenfalls um einen außergewöhnlichen Umstand gehandelt. Die Einrichtungsgegenstände seien nicht wegen Verschleiß unbrauchbar geworden. Vielmehr seien die Möbel im plötzlich auftretenden Wahn auf der Straße entsorgt worden. Ein Ansparen für neue Möbel aus dem Regelsatz sei der Klägerin nicht möglich gewesen.

Reinigen statt ersetzen

Doch nicht immer muss der Sozialleistungsträger bei außergewöhnlichen Umständen mit neuem Mobiliar aushelfen, wenn die alten Möbel noch gerettet werden können. Wenn Möbel von Kakerlaken befallen sind, besteht noch kein Anspruch auf neue Einrichtungsgegenstände, entschied das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt in Halle mit Beschluss vom 27. August 2020. Statt die Möbel in den Sperrmüll zu geben, könnten diese auch gründlich gereinigt und dann weiterverwendet werden. Eine vom Jobcenter zu bezahlende Ersatzbeschaffung sei daher nicht „zwingend erforderlich“.

Um einen erneuten Kakerlakenbefall vorzubeugen, hätte es ausgereicht, dass mögliche Kakerlakeneier auf den Möbeln entfernt werden. Die Möbel seien weder beschädigt noch unbenutzbar geworden. Allenfalls für die Matratzen sei eine Kostenübernahme denkbar, falls diese schadhaft waren und sich darin Kakerlaken einnisten konnten.

Az.: B 8 SO 14/20 R (Bundessozialgericht, Wahnerkrankung)

Az.: L 7 SO 3313/18 (Landessozialgericht Stuttgart)

Az.: B 4 AS 57/13 R (Bundessozialgericht, Suchterkrankung)

Az.: L 2 AS 361/20 B ER (Landessozialgericht Halle)

Frank Leth