Berlin (epd). Eine überwältigende Mehrheit der Europäerinnen und Europäer sieht Defizite bei der sozialen Gerechtigkeit. 80 Prozent halten die Einkommens- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft für ungerecht, wie aus drei Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegen. Zudem fühlen Frauen sich immer häufiger von Benachteiligungen bedroht.
Objektiv habe die Benachteiligung von Frauen „sehr wahrscheinlich“ in den vergangenen Jahren nicht zugenommen, erklärten die Studien-Autoren zum Welttag der sozialen Gerechtigkeit am 20. Februar. Aber die Frauen hätten eine „höhere Sensibilität für Diskriminierung“ entwickelt.
„Auf gewisse Weise haben unsere Studienergebnisse auch etwas Ermutigendes“, sagte Sandra Bohmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) im DIW. Denn Politik und Gesellschaft könnten Diskriminierung nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn Menschen die Benachteiligung von Gruppen oder Personen auch wahrnehmen.
Dass alle Menschen einen fairen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, sieht etwa ein Drittel der Befragten in 29 europäischen Ländern skeptisch. Ihre eigenen Chancen bei der Jobsuche schätzt die Hälfte der Europäerinnen und Europäer als gerecht ein, lautet ein weiteres Ergebnis der Analysen.
Acht Prozent der Befragten sehen sich nach den Angaben als Teil einer Gruppe, die aufgrund ihrer Herkunft, Sprache, Religion, Geschlecht oder sexuellen Orientierung benachteiligt werde. Für Studienautorin Bohmann bedeutet das: „Die politischen Bemühungen, das Vertrauen aller Bürgerinnen und Bürger in eine gerechte Chancenverteilung zu gewinnen, sind offensichtlich nicht ausreichend.“
Insgesamt zeige sich, dass die Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt dort höher eingeschätzt wird, wo die Bürgerinnen und Bürger auch zufriedener mit der Demokratie in ihrem Land sind. „Wer also das Vertrauen in die Demokratie stärken möchte, tut sicher gut daran, sich für gerechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen“, sagte Stefan Liebig, Studienautor und Direktor des SOEP im DIW.
Datenbasis für die Studien ist der European Social Survey, eine Querschnittsbefragung für vergleichende Analysen in Europa. Die jüngste Befragung fand in den Jahren 2018 und 2019 statt.