Berlin (epd). Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich in der Auseinandersetzung um die Impfpflicht für Pflegekräfte gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) gestellt. „Wir gehen davon aus, dass Gesetze eingehalten werden. Das ist einer der Vorzüge des deutschen Rechtssystems“, ließ Scholz den stellvertretenden Regierungssprecher Wolfgang Büchner am 9. Februar in Berlin erklären. Zugleich blieb weiter offen, wie die zahlreichen Detailfragen bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gelöst werden sollen. Das Bundesgesundheitsministerium verwies abermals auf den Ermessensspielraum der Länder und örtlichen Behörden.
Bayern rudert nun offenbar wieder zurück. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen wird laut dem bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kommen. Sie werde sich jedoch um ein paar Wochen verschieben, wenn die Umsetzung klar ist, sagte er am 10. Februar dem Radiosender Bayern2. „Wir haben viele Gespräche mit Landräten, Oberbürgermeistern, Einrichtungen und der Vereinigung der Pflegenden geführt, die uns alle gesagt haben: So kann das nicht funktionieren.“
Zuvor hatte schon Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Aussetzung der einrichtungsbezogenen Corona-Impfpflicht abgelehnt und den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) für seine Ankündigung, die Regeln nicht durchzusetzen, kritisiert. Dies sei ein „sehr gefährliches Signal“, sagte Lauterbach am 8. Februar in Berlin. Es entspreche „einer Nichtumsetzung“ des Gesetzes.
Von der Bevölkerung werde erwartet, dass sie bei den Corona-Maßnahmen mitgehe und sie befolge. Jetzt entstehe der Eindruck, dass das für Ministerpräsidenten nicht gelte, sagte Lauterbach. Er kündigte an, mit Söder reden zu wollen. Heftige Kritik an Söder kommt auch von anderen Länderchefs. Die bayerische Landesregierung bleibt aber bei ihrem Kurs.
Die ab Mitte März für das Personal unter anderem in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen geltende Impfpflicht steht seit Wochen in der Kritik. Die Pflegebranche befürchtet eine Verschärfung des Personalmangels durch Abwanderung. Es mehren sich Stimmen, auch in der Union, die Impfpflicht auszusetzen oder später einzuführen. Söder hatte am 7. Februar angekündigt, die Regeln in seinem Bundesland vorerst nicht durchzusetzen.
Lauterbach erklärte, der Bund habe keine Instrumente, die Impfpflicht in Einrichtungen durchzusetzen. Der Vollzug sei Aufgabe der Bundesländer. Er erinnerte daran, dass die Gesundheitsministerkonferenz sowie die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sich zu der Impfpflicht bekannt hätten. „Das Gesetz gilt“, sagte Lauterbach. Der Bund werde mit den Ländern daran arbeiten, die Umsetzung zu erleichtern.
Ob das letztlich zum Erfolg führt, bleibt offen. Söder steht mit seiner Strategie nicht alleine. Denn die Union will Impfpflicht bundesweit aussetzen. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, sagte der „Bild“-Zeitung, die Bundesregierung müsse einsehen, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Moment kaum umsetzbar sei. Um weiteren Schaden abzuwenden, solle sie sich mit den Ländern über eine vorläufige Aussetzung verständigen. Diese solle bundesweit einheitlich gelten, bis zentrale rechtliche und praktische Fragen beantwortet seien.
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) plädierte dafür, die einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht bundesweit auszusetzen. In den ARD-„Tagesthemen“ warnte Hans vor großen Unterschieden bei der Umsetzung in den einzelnen Bundesländern, die teils großzügige Übergangsfristen planten. Das könne zu einem „unverantwortlichen Verschiebebahnhof“ ungeimpfter Pflegekräfte führen, die dann möglicherweise in anderen Ländern arbeiten würden. „Damit ist den zu schützenden Personen nicht geholfen“, sagte der CDU-Politiker.
Hans sieht die Bundesregierung in der Pflicht, Klarheit zu schaffen. Sie habe nicht abschließend geklärt, wie mit Menschen in den Einrichtungen umgegangen werden soll, die sich trotz Pflicht nicht impfen lassen. Bis zu einer Nachbesserung solle der Vollzug der einrichtungsbezogenen Impfpflicht bundesweit einheitlich ausgesetzt werden.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ließ ebenfalls Verständnis für Söder erkennen. Er halte „diese Impfpflicht für derzeit nicht vernünftig umsetzbar“, erklärte Bouffier auf Anfrage des Hessischen Rundfunks. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht werfe auch für Einrichtungen viele Fragen auf. So sei zum Beispiel unklar, ob und nach welchen Regeln ungeimpftes Personal eine Lohnfortzahlung bekäme, so Bouffier.
Auch aus der Sozialbranche kommen erste zustimmende Aussagen: „Wir begrüßen im Moment das vorläufige Aussetzen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Bayern“, erklärte die Landesvorsitzende der Lebenshilfe, Barbara Stamm, und sprach sich erneut für eine allgemeine Impfpflicht aus. In der Praxis komme es derzeit zu absurden Situationen beispielsweise in Förderzentren, in denen Schülerinnen und Schüler mit geistiger und mehrfach Behinderung beschult und betreut werden. „Hier ist nicht zu erklären, dass ein Teil der Beschäftigten einer Impfpflicht unterliegt, nämlich Tagesstätten-Betreuung, medizinische Therapeuten oder Schulbegleitungen, die Lehrkräfte hingegen, die sich am Vormittag um die selben Kinder kümmern, nicht.“
In Mainz attackierte dagegen Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) Söder und den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Die gesetzliche Regelung infrage zu stellen, sei „rücksichtslos“ und führe „zu einer maximalen Verunsicherung“ in der Bevölkerung, sagte sie.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt hält es für falsch, Impfunwilligen sofort mit Kündigung zu drohen. Es müsse erst einmal darum gehen, ungeimpfte Menschen im Gesundheitsweisen in einer Übergangsphase dazu zu bewegen, sich doch noch freiwillig impfen zu lassen, sagte er am 9. Februar der „Passauer Neuen Presse“ und riet der Politik: „Man muss sich jetzt die Zeit nehmen, um zu erörtern, welche Konsequenzen ein unvollständiger Impfstatus für den einzelnen Beschäftigten haben soll und wie man Impfunwillige überzeugen kann.“
Der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, erklärte unterdessen in Kassel, dass er das Vorgehen Söders für unzulässig hält. Wenn ein Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet worden sei, „kann man nicht einfach sagen, ich setze das aus“, betonte Schlegel. Für eventuelle Korrekturen könne der Gesetzgeber nur ein neues Gesetz beschließen oder zumindest mit einer eigenen Regelung erst einmal das Inkrafttreten terminlich hinauszögern.
„Feige und unverantwortlich ist diese Ankündigung“, kritisierte Manfred Stegger, Vorsitzender des BIVA-Pflegeschutzbundes, Söders Aussagen. „Statt der Drohung einer Minderheit von Pflegekräften nachzugeben, die wegen der Impfpflicht ihren Arbeitsplatz verlassen wollen, hätte die Politik Haltung für die Pflegebedürftigen zeigen müssen.“ Der Schutz der Menschen in Pflegeheimen werde für Wählerstimmen aus dem Lager von Impfskeptikern geopfert, rügte Stegger. Damit missachte die Politik auch die Mehrheit der Pflegekräfte, die sich haben impfen lassen, um die ihnen anvertrauten Menschen vor Ansteckung möglichst gut zu schützen: „Das ist parteipolitisches Kalkül und das Gegenteil von solidarischer Verantwortung.“
Der Sozialverband VdK Deutschland warnte, der Schutz von Heimbewohnern gerate völlig aus dem Blickfeld. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Es gibt ein Gesetz, das zum Schutz dieser Menschen verabschiedet wurde. Wird es wegen fehlender Kontrollen nun nicht umgesetzt, bringt das Menschenleben in Gefahr.“ Demgegenüber sagte DRK-Präsidentin Hasselfeldt dem Inforadio des rbb, der Schutz von Risikogruppen sei zwar richtig. Sie habe aber Zweifel, ob die Impfpflicht das richtige Mittel sei. Zudem seien zahlreiche praktische Fragen völlig ungeklärt.
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, sprach sich derweil für einen weiten Ermessensspielraum der Gesundheitsämter aus. Er sei für die ab dem 15. März geltende Impfpflicht, weil es um den Schutz vulnerabler Gruppen gehe, sagte er in Berlin. Zugleich müsse dafür gesorgt werden, dass Versorgungsstrukturen aufrechterhalten werden.
Sachsens Diakonie-Chef Dietrich Bauer ist der Überzeugung, dass das Gesetz entscheidend nachgebessert oder verändert werden muss. „Jetzt muss endlich eine umfassende Klärung herbei geführt werden, wie es ab Mitte März weitergehen kann. Denn wir haben eine große Verantwortung gegenüber den uns anvertrauten Menschen wie auch für unsere Mitarbeitenden“, so Bauer abschließend. Das Gesetz sei handwerklich so schlecht gemacht, dass die damit verbundenen Unsicherheiten und Implikationen vielen unserer diakonischen Träger mehr als Kopfzerbrechen bereiteten. „Nach jetzigem Stand befürchten wir ein Umsetzungschaos.“