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Gesundheit

Kliniken blicken in ungewisse Zukunft




Protest von Pflegekräften
epd-bild/Uli Deck
Die Corona-Pandemie hat den Fachkräftemangel in der Pflege grell ans Tageslicht geholt. Und es könnte noch schlimmer werden: Jeder dritte Krankenpfleger überlegt laut dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe, seinen Beruf aufzugeben.

Freiburg, Berlin (epd). Der Pflegenotstand ist über viele Jahre entstanden. Kurzfristig zu beheben ist der Mangel nicht. Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbands (DEKV), Christoph Radbruch, nennt ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die dazu nötig wären. „Im Krankenhaus ist der Patient eine Diagnose, das muss anders werden“, sagte Radbruch dem Evangelischen Pressedienst (epd).

„Es gibt generell mehr Stellen als nachgefragt werden“, sagte Radbruch. Er beruft sich auf einen Bericht der Bundesagentur für Arbeit vom Mai 2021, wonach auf 100 Stellen 47 Bewerber kamen. In der Folge konnten etwa nur 86 Prozent der vorhandenen Intensivbetten belegt werden, ergab eine Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Es fehlt schlicht an Personal.

Ausbluten des Pflegeberufs

Allein mit mehr Geld sind Pflegekräfte nicht zu locken. „Die Bezahlung ist nur ein Motivationsaspekt“, sagte Radbruch und nennt Gründe für das Ausbluten des Pflegeberufs. Der Krankenstand unter Pflegekräften sei hoch, nicht wenige litten unter depressiven Verstimmungen. Viele Pfleger seien aus Altersgründen im Schichtdienst weniger belastbar. Die Arbeit, gerade an Covid-19-Patienten, sei körperlich schwer und emotional belastend, betont Radbruch.

Der frühere Gemeindepfarrer fordert eine klare Definition für Zuwendung in der Pflege, die als Kassenleistung abrechenbar ist. Dabei hat Radbruch sowohl die sozialpsychologische Unterstützung des Pflegepersonals als auch von Patienten im Blick. Wenn der Pfleger Unterstützung erhalte, profitiere auch der Patient, ist er sicher.

Corona habe die ohnehin schwierige Lage im OP und den Intensivstationen zugespitzt, berichtet Caroline Schubert vom Vorstand der Vidia-Kliniken in Karlsruhe. Schubert spricht von einer „neuen Dynamik“ und einer „Abwärtsspirale“ im Pflegebereich. Vor der Pandemie betrieben die Vidia-Kliniken 44 Intensivbetten - zeitweise waren davon nur 24 in Betrieb.

Keine Reserve mehr

Planbare Operationen werden verschoben. Für das Personal bedeutet die interne Steuerung jedoch keine Entlastung. Ärztliche Bereitschaft werde im Notfall erwartet. „Die Kliniken arbeiten mit angezogener Handbremse“, sagte Schubert.

Wie die Vidia-Klinken ist das Evangelische Diakonissenkrankenhaus in Freiburg bemüht, Pflegepersonal aus der eigenen Krankenpflegeschule einzustellen. Doch auch hier scheint das Limit erreicht. „Wir haben keine Reserve mehr in der Schublade“, sagte Matthias Jenny vom Diakonissenkrankenhaus.

Der Pflegedirektor verweist neben der Pandemie als „Brandbeschleuniger“ für den Pflegenotstand auf die seit 2019 gültige Personaluntergrenzen-Verordnung. Sie schreibt vor, wie viele Patienten ein Pfleger maximal betreuen darf. 2022 tritt die Regelung auch für den Fachbereich Gynäkologie in Kraft.

Geringe Karrierechancen

Kritisch sieht Jenny die unterschiedliche Bezahlung in der Pflege. Gute Krankenschwestern und -pfleger würden teilweise regelrecht „abgeworben“. An Universitätskliniken verdienten Krankenschwestern und -pfleger rund 18 Prozent mehr als an anderen Krankenhäusern, sagte Jenny und forderte eine „Gleichbehandlung der Pflegenden“.

Für Frustration sorgen nicht zuletzt die geringen Karrierechancen für Pflegekräfte. Sie sollten eigenverantwortlicher arbeiten dürfen, sagte Radbruch. Ihm schwebe eine Neuzuweisung der Aufgaben in der Pflege vor. Widerstände gegen eine Ausweitung der Kompetenzen von Pflegenden kommt jedoch vonseiten der Ärzte. „Im Detail wird das schwierig“, weiß Radbruch.

Der DEKV-Vorsitzende kann sich vorstellen, dass künftig noch vieles im Krankenhaus auf den Prüfstand kommen wird. „Wir blicken ins Ungewisse“, bestätigt Schubert und sagt: „Die Nachwirkungen der Pandemie werden uns begleiten.“

Susanne Lohse