Bielefeld (epd). Studien zum Coronavirus sollten nach Ansicht der Wissenschaftlerin Sabine Oertelt-Prigione zwischen Männern und Frauen differenzieren. Arzneimittel und Impfstoffe gegen das Coronavirus könnten je nach Geschlecht unterschiedlich wirken, sagte die Professorin für Geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Deshalb sollten wir künftig in allen Studien geschlechtsgetrennte Analysen durchführen.“ Bislang werde das Geschlechterverhältnis in der Mehrzahl der Studien zu Impfstoffen oder zu Arzneimitteln gegen Covid-19 kaum berücksichtigt.
Oertelt-Prigione hatte in einer Studie zusammen mit niederländischen und dänischen Forscherinnen und Forschern festgestellt, dass nur in vier Prozent von fast 4.500 ausgewerteten internationalen Studien zu Sars-CoV-2 und Covid-19 das Geschlecht in die Analyse einbezogen wurde. Die geringe Berücksichtigung des Geschlechteraspekts könne zu Verzerrungen in den Ergebnissen führen, sagte die Medizinerin. „Denn in den Studien gibt es häufig eine Überrepräsentation von Männern.“
Grund dafür sei, dass in der Regel mehr Männer als Frauen schwer an dem Virus erkrankten und im Krankenhaus behandelt werden müssten. „Und dort werden die Therapien meistens ausprobiert.“ Tatsächlich litten Frauen durchschnittlich seltener an schweren Krankheitsverläufen bei Covid-19-Infektionen. „Frauen sind aus immunologischer Perspektive etwas besser gerüstet“, erklärte die Wissenschaftlerin.
„Es gibt definitiv einen geschlechtsspezifischen Aspekt.“ So habe sich etwa gezeigt, dass seltene Nebenwirkungen bei Corona-Impfstoffen unterschiedlich häufig bei Männern und Frauen aufträten. Thrombosen, die vor allem bei Vektor-Impfstoffen als seltene Nebenwirkung beobachtet worden seien, seien häufiger bei Frauen eingetreten als bei Männern. Von Herzmuskelentzündungen, eine seltene Nebenwirkung bei mRNA-Impfstoffen, seien hingegen mehr junge Männer betroffen.
„Bei allen Interventionen sollten wir automatisch schauen, inwiefern das Geschlecht potenziell ein Faktor sein könnte“, forderte die Medizinerin. Das gelte auch für Medikamente gegen Erkrankungen durch das Coronavirus. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Arzneimittel potenziell von Männern und Frauen unterschiedlich verstoffwechselt würden. Das könne zu einer unterschiedlich hohen Konzentration eingenommener Medikamente im Blut führen. Mögliche Konsequenz müsste dann eine unterschiedliche Dosierung sein.