Berlin, Hannover (epd). „Die Pandemie läuft erneut aus dem Ruder. Für besonders gefährdete Menschen zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen ist ein Zögern und Zaudern von Politik und Behörden lebensgefährlich: Wir müssen jetzt alles tun, um sie vor Covid-19 zu schützen.“ Dieser Feststellung des Bundesverbandes der Diakonie vom 8. November wird wohl niemand widersprechen. Denn, auch das ist unstrittig, beim Schutz von Menschenleben dürfe es keine Kompromisse auf Kosten der Verletzlichsten geben.
Doch die nächste Aussage des Bundesverbandes enthält Konfliktpotenzial: „Alle Beschäftigten, die in Gesundheits- oder Pflegeeinrichtungen Kontakt mit Patientinnen und Patienten haben, müssen geimpft sein.“ Dies gelte auch für Ärztinnen, für Physiotherapeuten und Dienstleister. „Der Gesetzgeber sollte diese begrenzte Impflicht für den Ausnahmefall der Pandemie jetzt zur Regel machen“, fordert die Diakonie. Wer heute nicht handele, trage Mitverantwortung dafür, „dass Intensivstationen überlastet werden und Menschen, die hätten geschützt werden können, gesundheitlichen Schaden nehmen oder sterben“.
Dagegen lehnt der Vorstandvorsitzende des diakonischen Arbeitgeberverbandes in Niedersachsen, Hans-Peter Daub, eine Impflicht für Pflegekräfte ab. „Ich sehe dafür überhaupt keinen Anlass. Jetzt den Druck auf die Pflegekräfte weiter zu erhöhen, wäre der falsche Weg“, sagte er am 8. November in Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die wenigen ungeimpften Pflegekräfte seien extrem vorsichtig und hielten alle Vorschriften strikt ein. Eine Impfpflicht könnte eher dazu führen, dass gerade junge Pflegekräfte ihrem Beruf den Rücken kehrten.
In den niedersächsischen Alten- und Pflegeheimen gebe es kein dramatisches Geschehen, betonte Daub. Dort seien nahezu alle Heimbewohnerinnen und -bewohner geimpft. Bei den Pflegekräften liege die Impfquote deutlich über 80 Prozent. „In den Heimen sterben die Menschen nicht an Corona. Es gibt keine Notlage.“ Dies könne in Bayern oder Sachsen möglicherweise anders aussehen, weil dort die Impfquoten sehr viel niedriger lägen.
Unter den Pflegekräften seien es vor allem junge Mitarbeitende, die sich nicht impfen lassen wollten, sagte Daub. Etliche fürchteten, durch die Spritze eventuell zeugungs- oder gebärunfähig zu werden. „Diese falsche Angst ist leider unausrottbar.“ Dennoch sehe er keine Gefahr für die Heime. „Wir haben im Jahr 2020 monatelang die Menschen mit damals noch ungeimpftem Personal pflegen müssen und es ist nicht zu einem Massensterben in den Heimen gekommen“, betonte Daub.
Auch einer täglichen Testpflicht für die Beschäftigten steht der Chef des Diakonischen Dienstgeberverbands skeptisch gegenüber. „Das bedeutet noch mehr Aufwand in den Häusern.“ Fakt sei, dass die Hospitalisierung in Niedersachsen rückläufig sei. Sie liege derzeit bei 3,9. Erst bei 6 werde im Land die Warnstufe 1 ausgerufen.
Weil die Corona-Zahlen auf immer neue Höchstwerte stiegen, werde es „höchste Zeit, all jene zu schützen, die sich nicht schützen können oder deren Immunsystem schwach ist“, sagte Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, am 11. November. „Deshalb fordern wir eine Impfpflicht für soziale Berufe.“ Zu diesem Berufsfeld zählten Pflege-, Betreuungs- und Hauswirtschaftskräfte, Krankenhaus-, aber auch Kita- und Schulpersonal sowie Mitarbeitende in Beratungsstellen.
Lenke: "Wir fordern wir eine Impfpflicht für alle, die nah am Menschen arbeiten und bei denen keine medizinischen Gründe dagegensprechen. Das ist eine berufsethische Verantwortung. Es kann nicht sein, dass Menschen, deren Immunabwehr nachlässt oder eingeschränkt ist, in Gefahr gebracht werden. Auch der Deutsche Ethikrat empfiehlt dringend die Prüfung einer Impfpflicht für Mitarbeitende in besonderer beruflicher Verantwortung.