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Aktionswoche

"Armut grenzt auch digital aus"



Ein Leben ohne Internet wird immer schwieriger - vor allem für Menschen am Rande der Gesellschaft. Selbst Arztbesuche oder Behördengänge erfordern oft eine digitale Absprache. Die Träger der Aktionswoche "Armut bedroht alle" fordern deshalb einen kostenlosen Internetzugang für alle.

Stuttgart (epd). Die Ausgrenzung armer Menschen von Internet und anderen digitalen Teilhabemöglichkeiten stößt auf massive Kritik der Landesarmutskonferenz in Baden-Württemberg. Kostenloser öffentlicher Internetzugang müsse zum Teil der Daseinsvorsorge werden, forderte Heiner Heizmann von der Landesarmutskonferenz am 18. Oktober in Stuttgart bei der Eröffnung der jährlichen Aktionswoche gegen Armut. Außerdem müssten digitale Endgeräte für Kinder und Jugendliche zur Grundausstattung gehören. Das diesjährige Motto lautet „Soziale Ausgrenzung durch Corona vermeiden, Folgen überwinden, Demokratie stärken“.

„Die digitale Transformation muss sich an den digital Schwächsten ausrichten“, sagte Heizmann. Inzwischen brauche man für Termine etwa bei Ämtern oder beim Arzt immer häufiger einen digitalen Zugang. Es werde ohne Internet auch schwerer, Ansprüche bei Ämtern geltend zu machen. „Armut grenzt aus, auch digital“, betonte Heizmann. Deshalb gehöre der Stand der Digitalisierung in den Armutsbericht der Landesregierung.

Kritik am kaum erhöhten Hartz IV-Satz

Roland Saurer, einer der Sprecher der Landesarmutskonferenz, bekräftigte die Enttäuschung seiner Organisation darüber, dass der Hartz-IV-Satz nur um drei Euro steigt. Angesichts der Preisentwicklung bei Energie, Wasser und Mieten wären mindestens 15 bis 20 Euro nötig gewesen. Saurer kritisierte zudem, dass es bei der geplanten bundesweiten Kindergrundsicherung keine Fortschritte gebe. „Manche Sachen dauern unendlich lange“, bemängelte er.

Anne Jeziorski, Delegierte der Landesarmutskonferenz, äußerte sich verwundert darüber, dass es für Hartz-IV-Empfänger in Baden-Württemberg keine kostenlosen Corona-Tests mehr gebe. Während Berlin den Betroffenen, die nicht geimpft und nicht genesen seien, Gratistests zur Verfügung stelle, schließe der Südwesten diesen Personenkreis von der Teilhabe aus, weil er sich die Tests nicht leisten kann. Kritisch sieht Jeziorski auch die „Bettelei um Bildungsgutscheine“, was inzwischen zum Volkssport geworden sei. Die Demokratie werde durch solche Verfahren nicht gestärkt, hob sie hervor.

Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg warnte vor einer Verschärfung der Armut nach der Corona-Pandemie. Laut Statistischem Landesamt sei fast jeder sechste Baden-Württemberger armutsgefährdet, teilte der Verband mit. Besonders betroffen seien geringfügig Beschäftigte sowie junge Menschen, die coronabedingt nicht den Einstieg ins Berufsleben finden. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen nehme massiv zu.

Durch Corona zeigten sich „jahrelang verdrängte Probleme, von der Wohnraumversorgung einkommensschwacher Haushalte bis hin zur Bildungsungerechtigkeit“, sagte Deborah Castello von der Stabsstelle Grundsatzfragen und Lobbyarbeit beim Paritätischen. Auf Bundesebene nötig seien eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in Hartz IV, der Altersgrundsicherung, ein sozialer Arbeitsmarkt für alle, die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie Reformen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung.

Der Verband begrüßte das Vorhaben der Landesregierung, eine Enquete-Kommission zur Abmilderung der Corona-Folgen insbesondere für Kinder, Jugendliche und Familien einzurichten. Dabei sei aber eine Beteiligung der Wohlfahrtsverbände nötig, so der Paritätische weiter.

Marcus Mockler