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Pflege

Tagesbetreuung am Anschlag




Wochenplan einer Tagespflege für Demenzpatienten
epd-bild/Gerhard Bäuerle
80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause gepflegt. Tagespflegeeinrichtungen können deren Angehörige entlasten. Aber in der Corona-Krise wurden die Plätze reduziert. Nun könnte die Betreuung auch noch teurer werden.

Hersbruck (epd). In der vergangenen Woche haben sie gelb-schwarze Bienen aus Blechdosen gebastelt, mit Augen aus Kronkorken. Zusammen mit Schmetterlingen aus Stoffresten und Wäscheklammern schwirren die Bienen nun als Dekoration von der Decke der Tagespflegestätte der Diakonie in Hersbruck im Landkreis Nürnberger Land. Jeden Wochentag von 9 Uhr bis 15.30 Uhr verbringen hier rund ein Dutzend pflegebedürftige Männer und Frauen gemeinsam mit Pflegerinnen und Beschäftigungsassistentinnen den Tag. Sie singen, basteln, kochen und essen zusammen.

Elisabeth Teichmanns Mann geht bereits seit knapp vier Jahren regelmäßig in die Tagespflege. „Das hat einen ganz hohen Stellenwert in unserem Leben“, erzählt die rüstige Rentnerin. Drei Tage in der Woche ist sie von der anstrengenden Pflege entlastet, an drei Morgen in der Woche strahlt ihr Ehemann, weil er sich auf die Abwechslung in der Einrichtung freut. „Wenn es die Tagespflege nicht gäbe, wäre das der Super-Gau“, sagt seine Frau. Sie ist froh, dass sie einen der begehrten Plätze in Hersbruck haben.

Lange Warteliste

Es gibt eine lange Warteliste. Denn für das Corona-Schutzkonzept sind die Plätze in der Einrichtung von 20 auf 14 heruntergefahren worden, erklärt Pflegedienstleiterin Susanne Deuschle. Zudem müssen die an schwerer Demenz erkrankten Besucher derzeit zu Hause bleiben, weil sie die Abstandsregeln schnell wieder vergessen. Der Fahrdienst, der die Besucherinnen und Besucher zu Hause abholt und in die Einrichtung bringt, darf im Bus nur noch drei Personen transportieren. Das Mittagessen wird in zwei getrennten Räumen eingenommen. Die Hersbrucker Gäste der Tagespflege hätten sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie sich die Hände desinfizieren und einen Coronatest machen müssen, erzählt Mitarbeiterin Ute Murner.

„Die Vorgaben sind sinnvoll“, sagt Pflegedienstleiterin Deuschle. Aber sie sind mit Mehraufwand und weniger Einnahmen verbunden. Derzeit gibt es noch Ausgleichsgelder aus dem Pflege-Rettungsschirm der Bundesregierung. Der läuft am 30. September aus. „Aber am 1. Oktober wird sich doch nichts verändert haben“, zuckt Deuschle mit den Schultern. Die Infektionsschutzmaßnahmen würden ja weiterhin gelten. Noch weiß sie nicht, wie lange sie in der Tagespflege noch mit einem finanziellen Minus weitermachen kann.

Hilferuf der AWO Bayern

„Herr Minister, retten Sie die Tagespflege vor dem finanziellen Ruin“ - dieser Hilferuf kam deshalb Ende Juli von der Arbeiterwohlfahrt Bayern (AWO), die selbst 70 Tagespflegeeinrichtungen in Bayern betreibt. Die AWO befürchtet, dass Tagespflegeeinrichtungen schließen müssen, weil sie ins Defizit geraten. Der Wegfall jedes einzelnen Angebots sei „katastrophal“ für die Betreuten und ihre Angehörigen. Keine Lösung seien „exorbitante Preissteigerungen“, die Gäste und ihre Angehörigen stark belasten würden. Bei Teichmanns fallen zur Zeit monatlich 250 Euro für drei Tage in der Einrichtung an. Aber auch die Zuzahlungen bei Hygieneeinlagen, Badenwannenlift, dem Rollstuhl oder der Einbau eines Treppenlifters schlagen bei dem Ehepaar zu Buche.

Rund 11.000 Tagespflegeplätze in etwa 500 Einrichtungen gab es laut der Pflegestatistik vor der Pandemie in Bayern. Die Tagesstätten waren während der ersten Lockdowns zunächst ganz geschlossen. „Das war eine sehr schwere Zeit“, erinnert sich Elisabeth Teichmann.

Wenn der Rettungsschirm nicht mehr aufgespannt ist, müssten auch wieder die Normalbelegungen erlaubt sein, fordert die AWO. Zumal alle Gäste und die meisten Beschäftigten ebenfalls vollständig geimpft oder genesen seien.

Auch die Diakonie ist in Sorge

Existenzielle Sorgen gebe es auch bei Tagespflegeeinrichtungen der Diakonie Bayern, bestätigt der Sprecher der Landesdiakonie, Daniel Wagner. Die Diakonie will aber nicht so weit gehen, wieder den Normalbetrieb zu verlangen. Keiner möchte riskieren, dass trotz aller Vorsicht wieder mehrere Infektionen in einer Einrichtung vorkommen. Man könne sich aber vorstellen, „dass ein spezieller Infektionsschutz für die Tagespflegen definiert wird“, sagt Wagner.

Nun teilt eine Sprecherin des Gesundheits- und Pflegeministeriums auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) mit, dass Tagespflegeeinrichtungen auch über den 30. September hinaus eine Ausgleichszahlung erhalten können, „wenn diese coronabedingte Mindereinnahmen im Investitionskostenbereich nachweisen können“. Das helfe ein Stückchen„, sagt Deuschle, “deckt aber nur einen kleinen Teil ab." Wie sie alle Mindereinnahmen ab dem 1. Oktober abfedern oder Mehrausgaben stemmen soll für mehr Personal bei einer Vollbelegung mit Abstandsregeln, weiß sie damit aber noch nicht.

Den betroffenen Angehörigen helfe eine solche Ankündigung „nur bedingt“, gibt die Bereichsleiterin der Dienste für Senioren vom Sozialkonzern „Diakoneo“, Manuela Füller, zu bedenken. Weil wegen der Abstandsregelung weniger Tagespflegegäste aufgenommen werden können, müssen weiterhin mehr Pflegebedürftige als vorher zuhause versorgt werden.

Jutta Olschewski


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