Kassel (epd). Die gesetzlichen Krankenkassen müssen querschnittsgelähmten Menschen keine Therapie für das Gehenlernen in den USA bezahlen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am 17. August bekanntgegebenen Urteil vom Vortag entschied, muss für solch eine Auslandsbehandlung unter anderem die Wirksamkeit belegt sein und eine ärztliche Verordnung vorliegen. Daran fehle es im Streitfall.
Geklagt hatte eine 1991 geborene Frau, die bei einem Reitunfall im Jahr 2006 einen Trümmerbruch des 4. und 5. Halswirbelkörpers erlitt. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt. Ihren körperlichen Zustand wollte sie nicht nur mit Therapien in Deutschland verbessern. Sie nahm vom Februar 2014 bis Mai 2015 im kalifornischen Carlsbad am Trainingsprogramm „Project Walk“ teil. Dabei sollen querschnittsgelähmte Menschen unter Nutzung der natürlichen Muskelkontraktion durch eine Kombination aus intensivem körperlichen Training und Elektrostimulation das Gehen wieder lernen können.
Ihre Krankenkasse lehnte die Kostenerstattung für die Therapie in Höhe von knapp 107.000 Euro zu Recht ab, urteilte das BSG. Jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt habe das „Project Walk“ nicht dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entsprochen. Die Wirksamkeit der Therapie sei nicht ausreichend belegt gewesen. Zwar könne eine gesetzliche Krankenkasse ausnahmsweise auch nicht anerkannte Behandlungen zahlen. Dies gelte aber nur beim Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung.
Eine Querschnittslähmung sei damit nicht vergleichbar. Es habe keine „notstandsähnliche Extremsituation“ vorgelegen. An einer individuellen Notlage habe es auch gefehlt. Die Verletzungsfolgen hätten bei der Klägerin bereits seit acht Jahren vorgelegen, eine erhebliche Verschlimmerung sei nicht festgestellt worden. Schließlich habe die Frau die Therapie ohne ärztliche Verordnung durchgeführt. Eine Kostenerstattung sei damit nicht möglich.
Az.: B 1 KR 29/20 R