Nürnberg (epd). Angesammelte Minusstunden auf einem Arbeitszeitkonto sind bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein automatischer Grund für eine Entgeltkürzung. Das gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer wegen einer fristlosen Kündigung oder einer Freistellung überhaupt keine Gelegenheit hatte, sein Arbeitszeitkonto wieder auszugleichen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg in einem am 11. August veröffentlichten Urteil. Nur wenn die Lohnkürzung wegen Minusstunden zuvor ausdrücklich vereinbart wurde, sei sie zulässig.
Im konkreten Fall stand der klagende Arbeitnehmer mit seinem Chef in einem Arbeitsrechtsstreit. Der Arbeitgeber hatte dem Mann fristlos gekündigt. In einem gerichtlichen Vergleich einigten sich die Parteien auf die ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2019 „unter Fortzahlung der Vergütung“. Bis dahin wurde der Arbeitnehmer freigestellt.
Es folgte jedoch der nächste Gang zum Arbeitsgericht. Der Arbeitgeber hatte festgestellt, dass auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers rund 40 Minusstunden aufgelaufen waren. Der Lohn wurde daraufhin um 700 Euro gekürzt.
Das LAG hielt das für rechtswidrig. Befinden sich beim Ausscheiden des Arbeitnehmers auf dessen Arbeitszeitkonto noch Minusstunden, dürfe der Arbeitgeber das Entgelt hierfür nur kürzen oder zurückfordern, wenn das arbeitsvertraglich vereinbart wurde. Das sei hier nicht der Fall gewesen, so das Gericht.
„Selbst wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung selbstständig und ohne arbeitgeberseitige Weisungen einteilen und erbringen kann, ist der Arbeitgeber zum Abzug von Minusstunden nur berechtigt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, vor seinem Ausscheiden einen Aus-gleich der Stunden herbeizuführen“, heißt es dazu im Urteil.
Hier sei zudem der vorherige arbeitsgerichtliche Vergleich „unter Einbringung von Urlaubsansprüchen und etwaigem Zeitguthaben“ vereinbart worden. Damit sei ein Abzug wegen bestehender Minusstunden sowieso ausgeschlossen worden.
Doch auch ohne Arbeitszeitkonto darf bei Minusstunden nicht einfach das Entgelt gekürzt werden. Setzt der Arbeitgeber die Beschäftigten aus betrieblichen Gründen nicht in der vereinbarten Arbeitszeit ein, ist der Arbeitnehmer wegen „Annahmeverzugs“ nicht zum Ausgleich der zu wenig geleisteten Arbeitsstunden verpflichtet, urteilte bereits am 15. November 2011 das LAG Rheinland-Pfalz in Mainz.
Das LAG sprach damit einer Angestellten eines Schwimmbades, die in den Wintermonaten nicht eingesetzt wurde, ausstehenden Lohn zu. Der Arbeitgeber habe es versäumt, im Arbeitsvertrag die Führung eines Arbeitszeitkontos und damit auch die Möglichkeit eines negativen Kontostandes zu vereinbaren, so das Gericht. Darin müsse festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen in welchem Umfang eine Zeitschuld entstehen kann und auf welche Weise diese wieder ausgeglichen wird. Nur dann könne von der Beschäftigten ein Ausgleich der Minusstunden verlangt werden.
Fallen bei Leiharbeitern wegen eines fehlenden Einsatzes in einem Entleihbetrieb Minusstunden an, darf die Zeitarbeitsfirma nach einem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 17. Dezember 2014 diese Stunden nicht vom Arbeitszeitkonto des Beschäftigten abziehen. Das Risiko des Verleihers, den Leiharbeitnehmer nicht einsetzen zu können, dürfe im Rahmen eines Arbeitszeitkontos nicht auf den Leiharbeitnehmer verlagert werden, so die Berliner Richter. Selbst wenn ein Tarifvertrag anderes vorsehe, sei die Verrechnung dieser Stunden gesetzlich ausgeschlossen.
Neben Minusstunden stehen jedoch auch im Arbeitszeitkonto angesammelte Überstunden immer wieder im Streit. Kommt es in einem Kündigungsrechtsstreit zu einem Vergleich mit anschließender Freistellung einer Arbeitnehmerin bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, führt die Freistellung selbst noch nicht zum Überstundenabbau, stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 20. November 2019 in Erfurt klar.
Von einem arbeitsgerichtlichen Vergleich seien die Überstunden nur dann erfasst, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich darauf ausdrücklich einigen. Damit hatte die klagende Sekretärin trotz ihrer Freistellung von der Arbeit Anspruch auf Vergütung von noch in ihrem Arbeitszeitkonto bestehenden 67 Überstunden, insgesamt 1.317 Euro.
Beim Nachweis der Überstunden ist nach einem weiteren Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern grundsätzlich der Arbeitnehmer in der Pflicht. Das gilt zumindest dann, wenn die Überstundenberechnung allein auf den Eintragungen des Arbeitnehmers beruht, so die Rostocker Richter. Anderes gelte nur, wenn sich der Arbeitgeber die Aufzeichnungen zu eigen gemacht hat oder wenn er selbst das Arbeitszeitkonto führt, heißt es weiter in der Entscheidung vom 5. November 2019.
Az.: 4 Sa 423/20 (Landesarbeitsgericht Nürnberg)
Az.: 3 Sa 493/11 (Landesarbeitsgericht Mainz)
Az.: 15 Sa 982/14 (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg)
Az.: 5 AZR 578/18 (Bundesarbeitsgericht)
Az.: 5 Sa 73/19 (Landesarbeitsgericht Rostock)