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Augsburger Fuggerei: Ein Ave Maria statt Miete




Die Fuggerei in Augsburg
epd-bild/Annette Zöpf
Eine minimale Miete, dafür drei Gebete am Tag: Seit 500 Jahren leben in der Augsburger Fuggerei bedürftige Menschen. Die Warteliste für eine Wohnung ist in den vergangenen Jahren immer länger geworden.

Augsburg (epd). Wenn sich alle dran halten, dann sind vergangene Woche wieder an die Tausend Ave Maria-Gebete auf das jenseitige Seelenkonto von Jakob Fugger eingegangen. Der wohlhabende Augsburger Kaufmann stiftete 1521 die Armensiedlung Fuggerei, wo Bedürftige umsonst wohnten und wohnen - bis auf einen symbolischen Gulden, was heute 88 Cent entspricht, und drei Gebeten pro Tag. Im August feiert die Siedlung ihr 500-jähriges Bestehen. Das Verblüffendste daran ist wohl, dass sie Anfang des 21. Jahrhunderts noch gebraucht wird, weil es wieder vermehrt Armut gibt.

Die Jakoberstraße in der Augsburger Innenstadt ist gesäumt von kleinen Kneipen und Läden, an denen die Trambahn vorüberfährt. Bei der Hausnummer 26 allerdings führt ein Torbogen die Besucher in die Vergangenheit, in die Wohnsiedlung aus dem Spätmittelalter. Wer einen Eintrittspreis von 6,50 Euro bezahlt, kann durch die Gassen schlendern und die kleinen Gärten hinter den einstöckigen, gelb gestrichenen Häusern mit den grünen Türen und den Klingelzügen besichtigen.

Echte Bewohner, keine Statisten

An einer Gassenkreuzung sprudelt ein Brunnen, Efeu rankt sich die Hauswände empor. Autos gibt es keine und hie und da sitzen ältere Frauen im Schatten der Bäume. Manche Touristen glauben, bei ihnen handelt es sich um Statisten, die das Museum beleben sollen. Doch die Fuggerei ist kein Museum sondern soziale Realität: Heute wohnen hier an die 150 bedürftige Menschen, die es wegen ihres geringen Einkommens auf dem normalen Mietmarkt sehr schwer hätten.

Zu ihnen gehört Christine Thoma, die 70-Jährige ist vor neun Jahren in die Fuggerei gezogen. An die 60 Quadratmeter hat die Wohnung im ersten Stock: ein Wohnzimmer mit Küchenzeile, Bad, Schlafzimmer. Die Treppe nach oben ist etwas steil. Auf dem Sofa sitzen Plüschtiere, eine Wand ist rosa bemalt. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt die Augsburgerin.

Wie die anderen Bewohner musste sie nach dem Stiftungsstatut drei Bedingungen erfüllen: In Augsburg wohnen, katholisch sein - und bedürftig. Letzteres heißt kein Vermögen über 5.000 Euro zu besitzen, die meisten Einkommen liegen um die 900 Euro. Christine Thoma arbeitete zeitlebens in der Gastronomie bis ihr klar wurde, dass sie eine Rente von 700 Euro zu erwarten hätte: „Da ist mir schwindlig geworden.“ Eine Wohnung hätte sie sich damit nicht mehr leisten können.

Heute moderner Wohnstandard

Zwei Freundinnen brachten sie auf die Idee, sich bei der Fuggerei für eine Wohnung zu bewerben. Das war nicht selbstverständlich, denn früher galt die Fuggerei als „Asozialen-Siedlung“ mit geringstem Wohnstandard - heute haben alle Wohnungen Bäder.

Der ursprüngliche Stiftungszweck war, in Not geratenen Taglöhnern ein Dach über dem Kopf zu geben. Die Kaufmannsfamilie Fugger war im 15. Jahrhundert durch Tuchhandel und andere Geschäften enorm reich geworden. Stifter Jakob Fugger (1459 - 1525) sorgte um sein Seelenheil, indem er den Bewohnern der Fuggerei statt einer Miete drei Gebete pro Tag für seine Familie auferlegte. Im Laufe der Jahrhunderte ist so ein erkleckliches Gebetskonto zusammengekommen.

Auch Christine Thoma erfüllt diese Pflicht: „Wenn ich nicht in die Kirche gehe, dann bete ich daheim.“ Ansonsten bezahlt sie einmal jährlich die symbolischen 88 Cent, hinzu kommen 90 Euro Nebenkosten im Monat. In der Nachbarschaft ist sie aktiv, jeden Dienstag organisiert sie das Frühstück im Gemeinschaftstreff.

Verschärfter Wohnungsmarkt

Warum wollen zu Beginn des 21. Jahrhunderts Menschen zu den Bedingungen wohnen, wie sie die Fuggerei bietet, zum Beispiel Touristen, die durch das Küchenfenster sehen? „Die Lage auf dem Wohnungsmarkt hat sich schon sehr verschärft“, sagt Stiftungssprecherin Astrid Gabler. Die Zahl der Bewerber auf die rund fünf Wohnungen, die jährlich frei werden, habe sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt, momentan stehen 100 Augsburger auf der Liste.

Nach 500 Jahren Geschichte blickt die Stiftung - sie finanziert sich überwiegend durch Forstbesitz - anlässlich des Jubiläums in die Zukunft. „Next 500“ heißt ein einjähriges Veranstaltungsprogramm, das am 23. August seinen Anfang nimmt. Im Mittelpunkt steht die Idee, Unternehmen und Wohlhabende weltweit dazu anzuregen, eigene Fuggereien zu gründen.

Rudolf Stumberger