sozial-Thema

Hochwasserkatastrophe

"Normale soziale Arbeit steht in den Sternen"




Der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler in einer überfluteten Wohnung in Kall.
epd-bild/Meike Böschemeyer
Nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen stehen viele soziale Einrichtungen wie Kliniken, Kitas und Pflegeheime vor dem Nichts. Wann wieder "normale" Beratungs- und Betreuungsarbeit möglich ist, ist völlig unklar.

Euskirchen (epd). Erst stiegen die Pegel der Erft und des Veybaches höher und höher. Dann gingen ganze Häuser in den reißenden braunen Fluten unter. Auch viele Einrichtungen der dortigen Caritas. Markus Lahrmann von der Caritas NRW holt tief Luft und zählt sie auf: Völlig ruiniert sind in Euskirchen die örtliche Geschäftsstelle, die Tagespflege für Senioren, in Bad Münstereifel die katholische Pflegestation, das Betreute Wohnen für Suchtkranke, ein Jugendzentrum und die Beratungs- und Begegnungsstätte für Flüchtlinge. Alle Gebäude versanken meterhoch in Wasser, Schlamm und Schutt. „Noch ist die Höhe der Schäden nicht zu beziffern“, berichtet Lahrmann. Fest stehe aber schon, dass sämtliche Räume, sofern sie nicht vom Einsturz bedroht seien, von Grund auf renoviert werden müssten.

Lahrmann hat noch viele weitere Caritas-Einrichtungen auf dem Zettel, die derzeit lahmgelegt sind: etwa die Caritas-Zentrale in Schleiden und die örtliche Sozialstation, der zudem vier Autos weggespült wurden. In Kall am Fluss Kyll sei die Sozialstation komplett zerstört, „Fußboden und Estrich sind weg“, berichtet Lahrmann. Alles Mobiliar, alle Technik, die ganze Einrichtung ist dahin. Auf Twitter schreibt der Verband: „Es steht völlig in den Sternen, wann wir in Kall wieder Beratungen in funktionierenden Büros anbieten können.“

Medizinische Geräte für zehn Millionen Euro sind Schrott

Während Kliniken in evangelischer Trägerschaft nach Angaben des Dachverbandes DEKV von der Katastrophe nicht betroffen sind, hat es vier Kliniken der Caritas in Ahrweiler, Eschweiler, Erftstadt und Ehrang schwer erwischt. Sie wurden nach den Angaben ganz oder teilweise evakuiert, arbeiten nur noch im Notbetrieb. Allein in der Radiologie im St. Antonius Hospital Eschweiler flutete die Inde medizinische Geräte für zehn Millionen Euro. Frühestens im Herbst, sagt Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik, sei wieder ein normaler Betrieb möglich. Doch in all dem Chaos der Aufräumarbeiten entdeckt der bekannte Intensivmediziner auch etwas Positives: „Ich hatte in der Corona-Krise das Gefühl, dass die Bevölkerung auseinanderdriftet. Wenn ich aber jetzt sehe, wie die Menschen hier zusammenstehen, dann macht mich das froh.“

Bislang gebe es keine zentrale Erfassung der Schäden, erläutert Lahrmann von der Caritas NRW weiter. „Jeder Diözesan-Caritasverband hat eine Koordinationsstelle für Fluthilfe eingerichtet, die sich um Verteilung von Hilfsgeldern, die über das zentrale Spendenkonto der Caritas eingehen, kümmern.“

Jetzt wird mit vielen freiwilligen Helfern zunächst entrümpelt. Zerstörtes Mobiliar und sämtliche Einrichtungsgegenstände müssten entsorgt werden, dann der Schlamm rausgebracht und die Wände getrocknet werden. „Erst danach wird zu klären sein, was Versicherungen übernehmen. Bis wann die baulichen Schäden behoben sein werden, ist noch nicht abzusehen.“ Handwerkerfirmen würden über Monate in Massen benötigt. Auch der Abriss ganzer Gebäude sei nicht ausgeschlossen.

Alle Evakuierten sind gut versorgt

Alle Evakuierten sind in anderen Einrichtungen untergebracht und gut versorgt, „es liegen keine Berichte über Versorgungsnotfälle vor“. Man helfe sich untereinander, so gut es gehe: „Die Solidarität im Verband ist hoch“, lobt Lahrmann. „Wir werden in den kommenden Tagen Lösungen für die betroffenen Dienste finden, soweit möglich. Die Kommunikation in Euskirchen ist immer noch stark eingeschränkt“, schreibt die Caritas Euskirchen auf Twitter.

Massive Schäden beklagt auch die Diakonie. So muss das überflutete und evakuierte Seniorenheim in Hagen vollständig saniert werden. Komplett zerstört sind laut Pressesprecherin Sabine Damaschke von der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe (RWL) im Kreis Ahrweiler auch Häuser, in denen Kinder- und Jugendwohngruppen der evangelischen Jugendhilfe Godesheim ihr Domizil haben. „Als Diakonie RWL bieten wir Kirchengemeinden und Sozialberatungsstellen an, pauschal mehrere tausend Euro zu überweisen, damit sie schnell und unbürokratisch direkt betroffenen Menschen vor Ort helfen können.“ Sachspenden seien für viele betroffene Einrichtungen ungünstig, denn den meisten fehlen die Logistik und auch der Lagerraum. „Spenden sind dagegen weiterhin willkommen.“ Bis zum 21. Juli waren auf den Konten von Kirche und Diakonie bereits 8,8 Millionen Euro eingegangen.

Hilfe zum Wiederaufbau dringend nötig

„Dort, wo die Räume nach und nach wieder trocken gelegt werden, kommen weitere Schäden zum Vorschein, die Wasser und Schlamm hinterlassen“, teilte der Paritätische Wohlfahrtsverband mit, der eine Spendenkampagne speziell für die sozialen Einrichtungen gestartet hat: „Ohne Hilfe werden gerade die vielen kleinen Vereine die Kosten zum Wiederaufbau nicht stemmen können.“ Es drohe die Gefahr, dass Hilfs-, Betreuungs- und Beratungsangebote eingestellt werden müssten - und damit die Verödung der sozialen Landschaft.

Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hofft auf schnelle staatliche Hilfen. Die Träger sozialer Arbeit in den betroffenen Gebieten stünden vor großen Herausforderungen. „Pflegeeinrichtungen oder Kitas mussten geschlossen oder geräumt werden, alternative Unterkunft ist zum Teil nur unter Schwierigkeiten zu finden. Auch die ambulante Betreuung ist angesichts gesperrter Regionen und evakuierter Pflegebedürftiger derzeit nur bedingt zu leisten“, sagte Jens M. Schubert, Vorstandsvorsitzender des AWO Bundesverbandes.

„Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass die soziale Infrastruktur vor Ort erhalten bleibt: dass beispielsweise Pflegebedürftige weiter versorgt werden und Kitas kurzfristig anderweitig unterkommen können“, erläuterte Schubert. Das werde viel Geld kosten, weil neue Räumlichkeiten angemietet, lange Routen für die ambulante Versorgung gefahren oder die eigenen Helferinnen und Helfer psychologisch unterstützt werden müssten.

Dirk Baas