Brüssel, Luxemburg (epd). Arbeitgeber dürfen Angestellten ein muslimisches Kopftuch im Job verbieten, müssen das aber gut rechtfertigen und entsprechend auch gegen andere religiöse und weltanschauliche Zeichen vorgehen. Das urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am 15. Juli zu zwei Fällen aus Deutschland. Das Verbot kann demnach rechtens sein, um Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln oder soziale Konflikte zu vermeiden.
In dem einen Fall ging es um eine Heilerzieherin in einer Kindertagesstätte des Hamburger Vereins WABE (Wohnen, Arbeiten, Betreuen, Entwickeln). Die zweite Frau war Verkäuferin bei der Drogeriemarktkette Müller. Beide trugen am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch und gerieten darüber in Konflikt mit dem Arbeitgeber. Die in Deutschland zuständigen Gerichte wandten sich zur Auslegung des EU-Rechts nach Luxemburg.
Der EuGH urteilte nun, dass der Arbeitgeber grundsätzlich das Tragen „jeder sichtbaren Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen“ verbieten dürfe. Das müsse aber einem „wirklichen“ Bedürfnis entsprechen, der Arbeitgeber müsste also sonst Nachteile erleiden. Maßgeblich seien die Erwartungen der Kunden beziehungsweise Eltern. Im letzteren Fall sei das „der Wunsch von Eltern, dass ihre Kinder von Personen beaufsichtigt werden, die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringen“.
Zugleich machte der Gerichtshof klar, dass ein Verbot nicht bestimmte Anschauungen oder Religionen wie hier den Islam besonders treffen darf. Er hielt in dem Zusammenhang fest, dass der Arbeitgeber der Erzieherin eine andere Mitarbeiterin, die ein religiöses Kreuz trug, zum Ablegen des Kreuzes bewegt habe. Die von einem Unternehmen gewünschte Neutralität müsse ganz konsequent umgesetzt werden, erklärte das Luxemburger Gericht.
Dabei gewährte der EuGH der deutschen Justiz, die die Fälle im Licht seines Urteils nun abschließen muss, Ermessensspielraum. Dieser könnte den betroffenen Frauen zugute kommen. Denn die nationalen Gerichte dürfen beim Abwägen der in Rede stehenden Rechte und Interessen „dem Kontext ihres jeweiligen Mitgliedstaats, und insbesondere den in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit günstigeren nationalen Vorschriften, Rechnung tragen“.
In Deutschland gibt es dem Anwalt der Erzieherin zufolge tatsächlich einen „besseren rechtlichen Schutz für die Religionsfreiheit aller Gläubigen (und Ungläubigen)“ als in Europa allgemein. Er gehe insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück, erklärte der Hamburger Anwalt Klaus Bertelsmann bereits vor dem EuGH-Urteil.
Allerdings zeigte sich die Konferenz der Europäischen Rabbiner nach dem Urteil mit Blick auf die Religionsfreiheit betroffen. „Für in Europa lebende Minderheiten und moderat religiös praktizierende Menschen ist das ein alarmierendes Signal, dass es um ihre Glaubens- und Religionsfreiheit nicht gut steht und sie gar Diskriminierungen in Kauf nehmen müssen“, erklärte ihr Präsident Pinchas Goldschmidt.
Unterdessen bekräftigte der WABE e. V. seine Haltung. „Das Wohl der uns anvertrauten Kinder steht bei uns an erster Stelle“, erklärte Vorstand Gabriele Gramann. Dazu gehöre, „dass Eltern die Wahlmöglichkeit für unterschiedliche Kita-Konzepte haben sollten: Ob Montessori oder Waldorf, ob christlich oder muslimisch oder eben auch unser Konzept der weltanschaulichen, religiösen und politischen Neutralität“, so Gramann.
Az.: C-804/18 und C-341/19