Nürnberg (epd). Am Ende ihrer studentischen Projektarbeit waren sie von den Interviews mit Betroffenen so bewegt und inspiriert, dass sie ihr Thema an eine größere Öffentlichkeit weitergeben wollten, sagt Johanna Jahn. Fünf Studierende der Evangelischen Hochschule Nürnberg haben deshalb unter dem Titel „Make Noise for the Quiet“ eine kleine Ausstellung geschaffen, die bis Ende Juli zu sehen ist. Die Erfahrungen von fünf - teils ehemals - von Armut betroffene Menschen rücken sie in den Mittelpunkt.
Die Gesprächspartner geben den Studentinnen und Studenten bereitwillig Auskunft, als sie für den Studienschwerpunkt „Armut in der Sozialen Arbeit“ nach Erfahrungen aus der Obdachlosigkeit oder der Drogenkarriere fragen. „Hinter jeder Person steckt ein eigenes Schicksal“, sagt Studentin Laura Denk.
Die Aussagen finden die Studierenden so prägnant, dass sie ihre Projektidee verwerfen, ein Lied mit eigenen Worten über Armut zu schreiben. Stattdessen wollen sie lieber die „Betroffenen selbst zu Wort kommen lassen und nicht über die Betroffen sprechen“, stellt Johanna Jahn fest. Sie filtern aus den Interviews einzelne Passagen und montieren sie zu einem Songtext mit dem Titel „Um auch ein Teil zu sein“. „Wir haben kein Wort hinzugefügt“, unterstreicht Kommilitonin Elena Bräu.
Es sind Satzteile wie „ungewollt, ungesehen, unverstanden“, „von Anfang nichts wert“ oder „sie wollen mich nicht sehen“ die dem Lied ihre besondere Authentizität gibt. Eine eingängige Melodie wird komponiert, Studentin Theresa Götz singt es ein. Das Lied „Um auch ein Teil zu sein“ soll demnächst auch bei Youtube unter dem Projektnamen „Make Noise for the Quiet“ zu finden sein.
Zusätzlich entsteht die Ausstellungsidee im Nürnberger Kulturladen Villa Leon. Armut ist auch heute noch ein stigmatisiertes Thema, ist sich das Team einig. Meist werde weggesehen oder die Problematik aus dem Bewusstsein verdrängt. „Dem möchten wir mit unserem Projekt entgegenwirken“, führt Elena Bräu aus.
Es finden sich beispielsweise eindrückliche Aussagen der ehemaligen Drogenabhängigen Richie Steeger, die sich umgerechnet „zwei große Häuser durch die Adern gejagt“ hat. Und weiter stellt Steeger fest: „Wir werden mit Steinen beworfen, wir werden wie Asoziale behandelt.“ Besonders am Herzen liegt ihr, dass Obdachlose oder Hartz-IV-Empfänger Menschen wie jeder andere sind. „Wir haben kein grünes Blut.“
Der ehemalige Obdachlose Thomas Kraft berichtet von seinem Lokal, das einmal gut ging und seiner gescheiterten Ehe. Es folgt ein tiefer Absturz und der mühsame Weg wieder zurück in ein normales Leben. Für ihn, so erfahren Besucher in der Ausstellung, war es der schwerste Moment in seinem Leben, sich trotz zweier Ausbildungen als erwachsenes Mannsbild einzugestehen: „Ich in gescheitert und weiß nicht mehr weiter. Dass ich Hilfe brauch, das war unglaublich schwer.“
Für Johanna Jahn ist eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse aus den intensiven Interviews: „Es kann jeden treffen.“ Das Bild von faulen Menschen oder selbstverschuldeter Armut sei falsch. „Man fällt unheimlich schnell und kommt schwer wieder raus.“
Auch bei einer alleinerziehenden Mutter mit vier schulpflichtigen Kindern erlebten die Studierenden die größte Sorge - nämlich die um ihre Kinder. Sie sollten auf alle Fälle nicht in die Spuren des mütterlichen Lebenslaufs treten. Doch bei ihrem Gespräch mit der Mutter in Pandemie-Zeiten entdeckten sie die ganz konkreten Auswirkungen von Armut. Denn für das andauernde Home-Schooling fehlte nicht nur der Platz, sondern auch vier PCs. Man hätte sich zwar auch Geräte aus der Schule ausleihen können, aber das finanzielle Risiko bei einem Defekt für Ersatz zu sorgen, war der Mutter zu groß.
„Wir sind privilegiert“, ist ein zentrales Fazit von Laura Denk, weil sie alle in stabilen Familien mit guter Bildung aufgewachsen sind. „Das ist nicht selbstverständlich, sondern Zufall.“