Greifswald, Köln (epd). Droht in einem Staat Frauen mit Duldung der dortigen Behörden häusliche Gewalt oder eine andere geschlechtsspezifische Verfolgung, ist dies allein kein Grund für eine Flüchtlingsanerkennung. Nur wenn Frauen als Teil einer „sozialen Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität“ verfolgt werden, ist eine Anerkennung als Flüchtling möglich, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald in einem aktuellen Urteil. „Frauen haben es damit sehr, sehr schwer, dass eine Verfolgung wegen ihres Geschlechts zur Anerkennung als Flüchtling führt“, sagte Andrea Kothen, rechtspolitische Referentin bei Pro Asyl, am 6. Juli zu dem OVG-Urteil.
Im entschiedenen Einzelfall muss die aus der Ukraine stammende Klägerin dennoch nicht zurück in ihr Heimatland. Wegen der drohenden Gefahr, von ihrem Mann mit Duldung der Behörden misshandelt zu werden, erhielt sie eingeschränkten subsidiären Schutz und damit Abschiebungsschutz.
Die Frau hatte angegeben, dass sie seit zehn Jahren von ihrem Mann regelmäßig schwer körperlich und seelisch misshandelt wurde. Von der Polizei habe sie keine Hilfe erwarten können, da ihr Schwiegervater dort als Militärangehöriger eine hohe Funktion innegehabt habe. Sie habe auch nicht innerhalb der Ukraine an einem anderen Ort fliehen können. Ihre Schwiegermutter arbeite bei der Einwohnermeldebehörde und könne jederzeit ihre Adresse ausfindig machen.
In ihrem Asylverfahren legte sie eine psychologische Stellungnahme vor, nach der sie an Depressionen, einer Panikstörung und einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Sie gab an, dass häusliche Gewalt in der Ukraine ein weit verbreitetes Problem sei. Jede vierte Frau in der Ukraine werde einmal Opfer körperlicher und sexueller Gewalt. Polizei- und Justizbehörden würden dieses als private Angelegenheit abtun und nicht einschreiten.
Das OVG lehnte die Anerkennung als Flüchtling ab, sprach der Frau aber wegen drohender Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung subsidiären Schutz und damit Abschiebungsschutz zu. Um aber als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden zu können, müsse eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bestehen.
Eine soziale Gruppe müsse sich durch eine „deutlich abgegrenzte Identität“ hervorheben. Nach diesen Maßstäben sei die Gruppe der Frauen in der Ukraine jedoch keine „soziale Gruppe“. Es liege schon allein „wegen ihrer Größe keine deutlich abgegrenzte Identität vor, wegen der sie von der umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“. Nur weil eine Vielzahl von Frauen in der Ukraine von häuslicher Gewalt betroffen seien, liege noch keine gemeinsame Identität vor, die eine Anerkennung als Flüchtling begründe, erklärte das OVG.
Allerdings drohe der Frau im Falle einer Abschiebung erneut häusliche Gewalt, so dass sie nicht zurückgeführt werden dürfe. In ihrem Fall sei es glaubhaft, dass der ukrainische Staat sie nicht vor ihrem gewalttätigen Mann schützen werde. Auch könne ein anderer Wohnort in der Ukraine nicht unentdeckt bleiben.
In einer weiteren Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 7. April 2021 wurde die aus Aserbaidschan stammende Klägerin dagegen wegen ihrer erlittenen häuslichen Gewalt als Flüchtling anerkannt. Sie war vor ihrem gewalttätigen früheren Ehemann geflohen. Sie stamme aus einer ländlichen Region, in der häusliche Gewalt gegenüber Frauen weit verbreitet sei.
Das Verwaltungsgericht urteilte, dass die Gruppe der auf dem Land lebenden Frauen ausreichend als soziale Gruppe abgegrenzt werden könne. Diese Gruppe müsse auch mit geschlechtsspezifischer Verfolgung rechnen - hier in Form häuslicher Gewalt. Polizei und Justiz würden dies auf dem Land dulden. Eine inländische Fluchtalternative habe die Frau nicht. So habe ihr früherer Ehemann sie nach einem Umzug wieder aufgespürt.
„Deutschland muss bei der Prüfung von geschlechtsspezifischer Verfolgung genauer hinschauen“, forderte Pro Asyl-Referentin Kothen. Viele Frauen hätten Probleme, bei der Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ihre Schamgrenzen zu überwinden. Es gebe immer noch zu wenig Bamf-Mitarbeiterinnen, die bei vorgebrachter geschlechtsspezifischer Verfolgung die geflüchteten Frauen anhören.
Az.: 4 L B 755/20.OVG (OVG Mecklenburg-Vorpommern)
Az.: 22 K 7025/18.A (Verwaltungsgericht Köln)