sozial-Branche

Gewalt

Wenn Männer Opfer sind




Küche in einer Gewaltschutzwohnung für Männer
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Meist richtet sich häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder. Doch auch Frauen können Täterinnen werden und Männer Opfer von Gewalt.

Frankfurt a.M. (epd). Es war Nacht, drei Grad kalt, und Anton Kern (Name geändert) stand in Unterhose vor seinem Haus auf der Straße. Die Polizisten hätten ihm nicht einmal Zeit gelassen, Kleider aufzuraffen, so erinnert er sich. „Meine Frau ist seit sieben Jahren alkoholkrank“, erzählt der 62-jährige Vater von drei Kindern. An dem Abend im späten Oktober 2020 sei sie mit 1,7 Promille durchgedreht und auf ihn losgegangen, berichtet er. Die von der Nachbarin gerufenen Polizisten hätten aber ihn auf die Straße gesetzt. „Ich hatte ein zerrissenes T-Shirt und Kratzspuren auf der Haut, sie hatte nichts“, sagt er verbittert. Seine Frau habe behauptet, er habe sie gewürgt und die Nachbarin habe das bestätigt. Nach drei Wochen Schlafen im Auto fand er Zuflucht in einer Männerschutzwohnung des Sozialdienstes Katholischer Männer in Düsseldorf, die im Juli 2020 eröffnet wurde.

Frauen schlagen zu

Laut der 2020 veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2019 knapp 26.900 Männer Opfer von Gewalt in Partnerschaften, das sind 19 Prozent aller Fälle. Jede fünfte aller Tatverdächtigen war eine Frau. Bei Mord und Totschlag in Partnerschaften war jedes vierte Opfer ein Mann, bei gefährlicher Körperverletzung 30 Prozent.

„Die Partnerschaftsgewalt zum Nachteil von Männern scheint von zunehmender Relevanz zu sein“, schreibt das Bundeskriminalamt. Sowohl die absolute Zahl als auch der Anteil der männlichen Opfer seien in den vergangenen Jahren gestiegen. Andere Erfassungen wie die des sächsischen Landeskriminalamtes 2016 oder der Online-Befragung „Partner fünf“ der Hochschule Merseburg 2020 geben an, dass 30 Prozent der Opfer häuslicher beziehungsweise partnerschaftlicher Gewalt Männer seien.

„Auch Frauen können Täterinnen werden und Männer Opfer von Gewalt“, sagt die Pressereferentin des Verbands Frauenhauskoordinierung in Berlin, Elisabeth Oberthür. „Alle Menschen, die von Gewalt betroffen sind, verdienen Unterstützung und Schutz.“ Frauen seien allerdings in einem erheblich höheren Maß von häuslicher Gewalt betroffen.

„Ein Mann ist stark“

Opfer von häuslicher Gewalt zu sein, sei für Männer wie Frauen beschämend, erklärt Petra Zöttlein. Sie leitet das Frauenhaus Hagar und die Männerschutzwohnung Riposo der Caritas Nürnberg. Opfer von Gewalt durch eine Frau zu sein, sei für Männer aber doppelt beschämend. Es widerspreche ihrer zugeschriebenen Rolle „Ein Mann ist stark“, „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, sagt Zöttlein: „Welcher Mann gibt zu, dass seine Frau ihn schlägt?“

Seit 2017 sind in Deutschland neun Männerschutzwohnungen mit insgesamt 29 Plätzen eröffnet worden, wie Enrico Damme von der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz in Dresden berichtet. Die Orte sind Oldenburg, Leipzig, Dresden, Plauen, Düsseldorf, Köln, Stuttgart, Nürnberg und Augsburg, die Adressen wie bei den Frauenhäusern vertraulich. Die wenigen Schutzräume reichten aber längst nicht aus. Für Frauen gibt es nach Angaben des Vereins Frauenhauskoordinierung rund 6.400 Schutzplätze, der Bedarf sei größer.

Für Anton Kern war die Männerschutzwohnung die Rettung. „Das war das absolute Highlight für mich“, sagt er. „Von da aus konnte ich wieder Luft schnappen und überlegen: Was mache ich jetzt?“ Auch die Beratungsgespräche hätten ihm sehr geholfen. „Ich habe zwei, drei Tage lang nur geheult.“ Zwei Monate lang wohnte Kern dort. „Ich bin mit einem guten, geborgenen Gefühl wieder raus.“

Vorübergehend Schutz

„Wir sind sehr gut ausgelastet“, berichtet Manfred Höges, Leiter des Projekts „Freiraum“ in Düsseldorf. Seit Sommer 2020 hätten in der Wohnung für zwei Männer und den beiden Einzelappartements 13 Männer und vier Kinder vorübergehend Schutz gefunden. Allerdings musste das Projekt seit Beginn dieses Jahres 30 Männer abweisen: „Weil wir voll waren, das ist frustrierend.“

Die Klienten sind nach Höges' Erfahrung meist Männer in der Mitte des Lebens und wurden von ihrer Partnerin oder in einem Fall von dem Partner jahrelang misshandelt. Sie hätten Drohungen erlebt wie: „Wenn du das nicht machst, bringe ich mich um“, oder: „Dann wirst du das Kind nie wiedersehen“. Körperliche Gewalt gegen sie werde von den Männern oft bagatellisiert.

Kratzen, Beißen, Schlagen hätten die Klienten erlitten, die quer aus der Gesellschaft kämen, berichtet die Nürnberger Schutzwohnungs-Leiterin Zöttlein. Hinzu komme psychische und soziale Gewalt, die genaue Kontrolle der Kontakte oder der erzwungene Abbruch von Familienbeziehungen. Höges wie Zöttlein konnten auch Männern helfen, die vor einer Zwangsheirat flüchteten und die Rache ihrer Familien fürchteten. Auch die mittlerweile vier Plätze der Ende 2019 eröffneten Nürnberger Wohnung seien durchgehend gut besetzt, sagt Zöttlein - es gebe mehr Anfragen als freie Plätze.

Die Idee der Schutzwohnungen pflanzt sich fort: Pastor Ralf Schlenker von der evangelischen Männerarbeit Mecklenburg-Vorpommern will ein „Männerkompetenzhaus“ in einer Kleinstadt gründen. Ihm schwebt ein Haus vor, in dem ein Mann oder mehrere Männer übergangsweise wohnen können, Konflikte bewältigen und ihr Leben neu ausrichten. Dafür sucht er Mitstreiter.

Jens Bayer-Gimm