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Debatte über Konsequenzen aus Pflege-Urteil




Eine Pflegekraft wechselt den Verband.
epd-bild/Werner Krüper
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur 24-Stunden-Pflege werden Forderungen nach Konsequenzen laut. Das Gericht hat ausländischen Pflege- und Betreuungskräften in Deutschland Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn zugesprochen.

Berlin (epd). Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Entlohnung ausländischer Pflegekräfte hat eine Diskussion über politische Konsequenzen aus dem Richterspruch in Gang gesetzt. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sieht großen Handlungsdruck. Er begrüßte das Urteil, demzufolge nach Deutschland entsandte ausländische Pflege- und Betreuungskräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Die 24-Stunden-Betreuung müsse zu einem Megathema der Politik werden.

Monatelang rund um die Uhr im Dienst

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hatte in einem am 24. Juni verkündeten Grundsatzurteil entschieden, die Betreuungstätigkeit müsse zum in Deutschland geltenden gesetzlichen Mindestlohn vergütet werden (Az.: 5 AZR 505/20). Der Mindestlohnanspruch bestehe auch für die Bereitschaftsarbeit der Arbeitskräfte, die 24 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche Menschen in ihren Privatwohnungen pflegen. Konkret ging es um den Fall einer bulgarischen Pflege- und Haushaltskraft, die nach ihren Angaben monatelang rund um die Uhr eine über 90-jährige Frau betreut hatte.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am 25. Juni in Berlin, er habe schon vor Jahren als Abgeordneter Vorschläge gemacht, wie ein besserer regulatorischer Rahmen für die 24-Stunden-Betreuung gefunden werden könne. Er schlug vor, sich das Beispiel aus Österreich anzuschauen. Dort habe man eine gesetzliche Regelung zu Arbeitsschutz und Arbeitszeit in diesem Bereich geschaffen. In der Bundesregierung sei eine ähnliche Regelung bislang aber nicht konsensfähig gewesen, sagte der Gesundheitsminister. Aus dem Bundesarbeitsministerium habe es geheißen, es gebe keinen Regelungsbedarf, sagte Spahn.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete das BAG-Urteil als „wegweisend und richtig“. „Arbeit hat eine Würde. Egal ob Sie aus Bukarest oder aus Bottrop kommen: Wenn Sie arbeiten, dann haben sie einen anständigen Lohn verdient“, sagte Heil bei RTL/ntv.

Bulgarin verlangt Nachzahlung von rund 36.000 Euro

Den konkreten Fall einer bulgarischen Pflege- und Haushaltskraft, die nach ihren Angaben monatelang rund um die Uhr eine über 90-jährige Frau betreut hatte, verwiesen die obersten Arbeitsrichter an das Landesarbeitsgericht in Berlin zurück. Die bei einer bulgarischen Firma angestellte und über eine deutsche Agentur vermittelte Pflegekraft hatte eine Nachzahlung in Höhe von 42.636 Euro abzüglich bereits gezahlter 6.680 Euro verlangt.

Wenige Tage vor dem Urteil hatte das Bundesgesundheitsministerium erklärt, es sehe keine Notwendigkeit, die prekären Zustände in der 24-Stunden-Pflege anzugehen. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion vom Montag hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.

Linke: Pflege völlig unzureichend finanziert

Auf die Frage der Linksfraktion, ob die Regierung die im Mai vom Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung erhobene Forderung aufgreifen wolle, wonach die 24-Stunden-Betreuung zum „Megathema der Politik“ werden müsse, schrieb das Gesundheitsministerium lediglich, der Pflegebevollmächtigte habe „seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Pflege“ dargelegt. Und weiter: Es gebe keine Pläne, die in Deutschland geltenden Ausnahmen von internationalen Arbeitsschutz-Vorschriften für 24-Stunden-Pflegekräfte zu ändern.

Die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation ILO regelt unter anderem die Arbeitszeiten. Davon sind in Deutschland aber Personen ausgenommen, die im Haushalt von Pflegebedürftigen leben. Dazu zählen auch Beschäftigte im Rahmen einer 24-Stunden-Pflege.

Die Linken-Pflegeexpertin Pia Zimmermann erklärte: „Dass der eigene Pflegebevollmächtigte öffentlich abgewatscht wird, ist das eine. Viel schlimmer ist, dass darin die perfide Pflege-Strategie der CDU zum Ausdruck kommt: Die Pflege völlig unzureichend finanzieren, aber im Ausland abwerben, um die Reichen zu schonen“, so die Linken-Politikerin.

Lösungsvorschlag im Bundesgesundheitsministerium

Caritas-Präsident Peter Neher erwartet nach dem Urteil eine Zunahme der Schwarzarbeit in diesem Bereich. „Ambulante Dienste können die Lücke nicht auffüllen“, sagte Neher dem epd. Sie könnten Pflegebedürftige nicht rund um die Uhr betreuen, wie dies die ausländischen Frauen tun, die gemeinsam mit den Pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren in Deutschland unter einem Dach leben (sogenannte Live-ins).

Laut Neher wurde im Zusammenhang mit der aktuellen Pflegereform im Bundesgesundheitsministerium ein Lösungsvorschlag formuliert, der „den Pflegebedürftigen und ihren Familien mehr Geld in die Kasse gespült hätte, um die Betreuungskräfte aus Osteuropa zu bezahlen“. Nach dieser Regelung hätten Pflegebedürftige ihren Anspruch auf die Pflegesachleistung umwandeln können und für die Bezahlung der osteuropäischen Helferinnen einsetzen können, sofern sie die Pflegesachleistung nicht für einen ambulanten Pflegedienst aufgebraucht haben. Bei Pflegegrad 2 wären dies monatlich 275,60 Euro gewesen. Daneben hätten die Betroffenen noch Pflegegeld in Anspruch nehmen können.

„Finanziell auf Kante genäht“

„Insgesamt“, so Neher, „hätte die Regelung dazu geführt, dass die Betroffenen eine bessere Finanzierungsgrundlage für die Live-ins gehabt hätten.“ Die Regelung wäre nach Auffassung des Caritas-Präsidenten „ein guter Anfang“ gewesen. Sie sei aber „wohl einfach aus Kostengründen“ nicht zustande gekommen. Neher: „Die Pflegereform ist ja finanziell auf Kante genäht.“

Neher wies auf Angebote der Caritas hin, die faire Arbeitsbedingungen für die meist osteuropäischen Betreuungskräfte vorsähen. So habe der katholische Wohlfahrtsverband mit „CariFair“ in Paderborn ein legales Beschäftigungsmodell mit ordentlichen Arbeitsverhältnissen. Neher: „Die Live-ins werden dabei sowohl bei der Integration in Deutschland als auch bezüglich der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen im Haushalt von den ambulanten Pflegediensten begleitet.“

300.000 illegale Beschäftigungsverhältnisse

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sieht mit der BAG-Entscheidung einen „Tsunami“ auf die ambulante Pflege und die Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen zurollen. Viele könnten es sich nicht leisten, Lohnkosten in der vom Gericht festgestellten Höhe aufzubringen. Derzeit seien mindestens 100.000 ausländische Helfer offiziell in deutschen Haushalten beschäftigt, hinzu kämen schätzungsweise weitere 200.000 Ausländerinnen, die ohne schriftliche Vereinbarung hier arbeiten.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, sagte: „Rund-um-die-Uhr-Pflege ist nur noch mit Mindestlohn legal. Für die allermeisten wird sie damit unbezahlbar.“ Mit dem BAG-Urteil zum Mindestlohn für ausländische Pflegekräfte drohe das „Armageddon“ der häuslichen Pflege. Bentele rügte, dass die Politik das drängende Problem der häuslichen Pflege jahrelang ausgeblendet habe.

Markus Jantzer, Frank Leth


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