sozial-Branche

Armut

Mehr Gesundheit für Bedürftige




Betteln auf der Straße
epd-bild/Udo Gottschalk
Armen Menschen und Migranten fehlt häufig der Zugang zum Gesundheitssystem. Mit Zeit und persönlicher Begleitung wollen die Mitarbeiterinnen des Hamburger "Gesundheitskiosks" helfen. Ihr Konzept hat Erfolg.

Hamburg (epd). Im großen Gruppenraum des Hamburger „Gesundheitskiosks“ sitzt Lita Baumeister am Ende eines langen Tisches hinter einer Plexiglasscheibe. Gerade hat sie eine bulgarische Mutter mit ihrem fünfeinhalbjährigen Sohn verabschiedet. „Die Kinderärztin des Jungen hat Sprachverzögerungen und Entwicklungsstörungen bei ihm festgestellt und ihn zu uns in den Gesundheitskiosk geschickt, damit wir die Familie unterstützen und seine Entwicklung mit beurteilen können.“

Baumeister ist eine von acht Gesundheitsberaterinnen in der Billstedter Einrichtung. Die praxisähnlichen Räume liegen im Erdgeschoss eines Ladengebäudes mitten in der Fußgängerzone. Der Hamburger Stadtteil ist ein sozialer Brennpunkt, es gibt viele Menschen mit Migrationshintergrund und wenig Geld.

Projekt ging 2017 an den Start

2017 wurde der „Gesundheitskiosk“ vom Ärztenetzwerk Billstedt-Horn ins Leben gerufen. Die Idee: Eine niedrigschwellige Anlaufstelle zu schaffen, in der Patienten mit mehr Zeit und in mehreren Sprachen beraten werden können. „Wir haben festgestellt, dass viele Menschen immer wieder mit denselben Fragen zu uns kamen“, berichtet Gerd Fass, Chirurg und Orthopäde sowie Vorstandsvorsitzender des Ärztenetzwerkes. Die Ärzte - ohnehin deutlich weniger als in bessergestellten Stadtteilen - konnten oft nicht ausreichend auf die einzelnen Patienten eingehen.

„Kommunikation ist alles“, sagt Gesundheitsberaterin Olga Schenk im zweiten Beratungsraum des Billstedter Kiosks. „Oft kommen die Menschen zu uns und sagen: 'Der Arzt hat mir irgendwas gesagt, aber ich hab’s nicht richtig verstanden.' Dann gehen wir in Ruhe die Befunde nochmal durch.“ Die gelernte Krankenschwester hat auch Pflegeentwicklung und Management studiert. Als gebürtige Russin kann sie den Menschen außerdem in ihrer Muttersprache helfen. Gerade wartet sie auf eine Frau aus einem afrikanischen Land, die die Diagnose Diabetes erhalten hat, um mit ihr über die notwendige Ernährungsumstellung zu sprechen.

Ernährung oft ein wichtiges Thema

Ernährung ist auch ein häufiges Thema bei Lita Baumeister, die sich vor allem um Familien kümmert. Die gelernte Krankenschwester spricht Arabisch und Tschetschenisch und studiert berufsbegleitend Interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management. Sie versucht Eltern an eine gesunde Ernährung heranzuführen. Sie erklärt ihnen, dass Kinder mittags eine richtige Mahlzeit brauchen und nicht nur ein Croissant. Auch der bulgarischen Mutter hat sie bunte Zettel mit Schaubildern zu Nährstoffen und Beispielgerichten mitgegeben. „Dann habe ich ihr noch von einer heilpädagogischen Einrichtung im Viertel erzählt, wo Kinder sprachlich und motorisch gefördert und auch die Eltern mit einbezogen werden. Sie war interessiert und möchte dort einen Termin vereinbaren.“

Etwa 60 Prozent der Besucher werden von ihrem Arzt an den „Gesundheitskiosk“ überwiesen, etwa 20 Prozent von anderen sozialen Einrichtungen und weitere 20 Prozent kommen von alleine, erzählt Gerd Fass. Mehr als die Hälfte der Ärzte aus dem Viertel beteiligt sich an dem Projekt, das mittlerweile von fünf Krankenkassen regelfinanziert wird. Die Gesundheitsberaterinnen gehen regelmäßig in die Praxen, um mit den Ärzten die einzelnen Fälle zu besprechen und Rückmeldung zu geben, beispielsweise ob ein Patient seine Ernährung umstellen konnte.

Eine wissenschaftliche Studie der Uni Hamburg hat kürzlich ergeben, dass der Kiosk die medizinische Versorgung im Stadtteil nachweislich verbessert hat. „Ich hoffe, wir können dazu beitragen, dass die Menschen hier auf lange Sicht eine höhere Lebenserwartung und eine bessere Lebensqualität haben“, sagt Gerd Fass. Gerade ist er dabei, mit Kollegen und den Gesundheitsberaterinnen Corona-Impfungen im „Gesundheitskiosk“ zu organisieren.

Imke Plesch