sozial-Branche

Pflege

Kammern: "Zu spät und falsch gestartet"




Experten beklagen eine geringe Neigung bei den Pflegefachkräften, sich berufsständisch zu organisieren.
epd-bild/Klaus Honigschnabel
Auf Augenhöhe mit Ärzten und anderen Interessensgruppen über die Zukunft des Gesundheitswesens zu verhandeln - das war die Idee bei der Einrichtung von Pflegekammern. Bundesweit konnte sich die Idee bislang nicht durchsetzen.

Mainz, Kiel (epd). Über die schlechten Nachrichten aus Norddeutschland wundert Markus Mai sich nicht. Dem Präsidenten der rheinland-pfälzischen Landespflegekammer kommen in Kürze die Partner in Niedersachsen und Schleswig-Holstein abhanden. Beide Länder lösen nach Befragungen unter den Beschäftigten ihre Kammern wieder auf. „Die Pflege hat noch kein berufsständisches Selbstbewusstsein“, sagt Mai.

Rheinland-Pfalz war nach einem Landtagsbeschluss von 2014 das erste Bundesland, das den Aufbau einer Berufskammer für Pflegefachkräfte beschlossen hatte. Nun drohe es erneut zu einem einsamen „gallischem Dorf“ zu werden, glaubt der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Er sieht die Idee der Berufskammern in einem „Sterbeprozess“. Eine Hauptursache der aktuellen Misere liege darin, dass die „nachholende Verkammerung“ der Pflege nicht in allen Bundesländern gleichzeitig angestoßen wurde: „Der Prozess ist zu spät und falsch gestartet.“

Mächtige Gegenspieler in der Pflegeszene

In der Bundesrepublik sind insbesondere Vertreter freier Berufe wie Ärzte, Anwälte oder Psychotherapeuten in Kammern organisiert. Die Berufsvertretungen sind nicht nur eine selbstbewusste Lobby für die Interessen ihrer Mitglieder, sondern übernehmen auch staatliche Aufgaben wie die Festlegung und Überprüfung von Qualitäts- und Ausbildungsstandards. Doch im Fall der Pflege gab es von Anfang an mächtige Gegenspieler. Arbeitgeber und die Gewerkschaft ver.di waren sich einig in ihrer Ablehnung. Viele Beschäftigte sahen die Zwangsmitgliedschaft kritisch.

„Die Pflegekräfte sind nicht sehr gut darüber informiert worden, was auf sie zukommt“, sagt Katja Rathje-Hoffmann, sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Kieler Landtag. Schon bei der ersten Umfrage in Schleswig-Holstein zur Einrichtung der Pflegekammer sei die Zustimmung mit 51 Prozent denkbar knapp ausgefallen. Nach der Gründung der Kammer habe sie immer wieder von Kritikern gehört, es handele sich lediglich um einen „Club, der sich mit sich selbst beschäftigt“. Für die entscheidenden Fragen wie Arbeitsbedingungen und eine auskömmliche Entlohnung der Pflegekräfte seien die Kammern nie zuständig gewesen.

Viele gegen Pflichtmitgliedschaft

Im Frühjahr sprachen sich dann bei einer neuen Befragung über 90 Prozent der schleswig-holsteinischen Pflegekräfte für eine Auflösung der Kammer aus. Vor allem die verpflichtende Mitgliedschaft und die dafür fälligen Monatsbeiträge waren vielen ein Dorn im Auge. In Niedersachsen hatten zuvor mehr als 70 Prozent für die Abwicklung der Kammer gestimmt. „Das ganze ist eine richtig teure Tasse Tee geworden“, seufzt Rathje-Hoffmann. Allein in Schleswig-Holstein kämen zu einer Anschubfinanzierung in Höhe von drei Millionen Euro nun noch einmal Kosten von fünf Millionen für die Auflösung.

Der rheinland-pfälzische Kammerpräsident Markus Mai sieht trotz der jüngsten Rückschläge in Berufskammern den einzigen Weg, damit die Pflege als Verhandlungspartner auf Augenhöhe akzeptiert wird: „Pflegeleute sind nicht wie Autobauer und Metaller, die sich hinstellen und streiken.“ Das sieht auch Stefan Sell ähnlich. Die Pflege werde von niemandem ernstgenommen, solange weniger als zehn Prozent der Fachkräfte gewerkschaftlich organisiert seien: „Bis heute warten ganz viele Pflegekräfte auf den weißen Ritter aus der Politik, der ihre Probleme löst.“

Wie es nun in der Bundesrepublik weiter gehen soll mit der Organisation der Pflegeberufe, ist unklar. Denn während Niedersachsen und Schleswig-Holstein ihre Kammern abwickeln, steckt Nordrhein-Westfalen gerade mitten im Aufbau. In Rheinland-Pfalz gibt es weiter politischen Rückhalt. „Die der Einführung der Landespflegekammer zugrunde liegenden Argumente gelten heute aus Sicht der Landesregierung Rheinland-Pfalz unverändert fort“, teilt das Mainzer Gesundheitsministerium auf Nachfrage mit. „Rheinland-pfälzische Bestrebungen, die hiesige Landespflegekammer aufzulösen, gibt es nicht.“

Karsten Packeiser