sozial-Politik

Teilhabe

Hintergrund

Wer ist sozial schwach?



Wenn eine Person als "sozial schwach" oder "sozial benachteiligt" gilt, sagt dies keinesfalls etwas über ihre sozialen oder gesellschaftlichen Fähigkeiten aus. Vielmehr kommen bei diesen Menschen eine Vielzahl benachteiligender Faktoren in den Bereichen Finanzen, Arbeit, Bildung und Herkunft zusammen.

Frankfurt a.M. (epd). Selbst in einem reichen Land wie Deutschland ist nicht jeder Mensch vor Armut geschützt. Hierzulande ist allerdings in der Regel nicht von absoluter, sondern von relativer Armut die Rede. Als absolut arm gilt nach einer Rechnung der Weltbank eine Person, wenn ihr weniger als 1,90 US-Dollar (etwa 1,60 Euro) pro Tag zur Verfügung stehen. Relativ arm ist in der EU jemand, der weniger Einkommen als 60 Prozent des Mittelwerts hat. Für einen Ein-Personen-Haushalt lag die Armutsgefährdungsschwelle in Deutschland 2019 bei 1.074 Euro, bei einem Zwei-Personen-Haushalt bei 2.256 Euro.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben nach dieser Definition 15 Prozent aller Menschen in Deutschland unter dieser Schwelle. Von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind rund 17 Prozent der Bevölkerung.

Ost-West-Unterschiede

Vermögen: Obwohl das gesamte Nettovermögen in Deutschland 2017 dem Sozio-ökonomischen Panel zufolge bei rund 7,8 Billionen Euro lag, haben davon nicht alle etwas. Insgesamt 14,5 Prozent der Erwachsenen hatten demnach kein persönliches Vermögen, 6,4 Prozent waren sogar verschuldet. Die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung hatten durchschnittlich Nettoschulden in Höhe von rund 13.000 Euro.

Herkunft: Wo eine Person oder ihre Familie herkommt, hat einen großen Einfluss auf ihren sozialen Stand. In Westdeutschland war das Vermögen beispielweise 2017 im Schnitt mehr als doppelt so hoch wie das in Ostdeutschland. Wie der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2020 zeigt, sind die Einkommen im Osten im Schnitt wesentlich niedriger als im Westen. Das liegt unter anderem daran, dass es dort weniger große Unternehmen gibt.

Personen mit Migrationshintergrund sind deutlich stärker von Armut gefährdet, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Im Jahr 2019 waren es 27,8 Prozent und somit fast 13 Prozentpunkte mehr als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Unter den Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind sogar 35,2 Prozent armutsgefährdet.

Bildungsarmut wird vererbt

Generell hängt der soziale Status einer Person von dem der Vorfahrinnen und Vorfahren ab. Das zeigt eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Durchschnittlich 60 Prozent der für den sozialen Status einer Person maßgeblichen Faktoren werden demnach von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Ein Zusammenhang sei selbst nach vier Generationen noch erkennbar.

Bildung: Menschen mit einem hohen Bildungshintergrund laufen nicht nur seltener Gefahr zu verarmen und haben mehr Vermögen, sie bestimmen auch wesentlich den Bildungsweg ihrer Kinder mit. Dies zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Vor zwei Jahren hatten 67,1 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Gymnasien Eltern mit Abitur oder einer Fachhochschulreife. 5,9 Prozent der Gymnasiasten hatten Eltern mit einem Haupt- oder Volkschulabschluss. Bei Kindern und Jugendlichen auf Hauptschulen zeigte sich ein gegenteiliges Bild. Dort hatten 41,7 Prozent der Eltern einen Haupt- oder Volksschulabschluss und 16,3 Prozent Abitur oder Fachhochschulreife.

Bildungsarmut wird Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge in Deutschland vererbt. So könnten Eltern in solchen Familien ihre Kinder beim Lernen und bei den Hausaufgaben kaum unterstützen.

Atypische Beschäftigungsverhältnisse

Arbeit: Die Gewerkschaften kritisieren schon lange die prekären Arbeitsbedingungen vieler Menschen in Deutschland. Darunter fallen Personen in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Zu diesen gehören Leih- und Zeitarbeit, Minijobs, Teilzeitbeschäftigung unter 20 Stunden sowie befristete Verträge. Zum Stichtag 1. Januar 2019 arbeiteten nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes rund 7,3 Millionen Menschen in solchen Verhältnissen.

Gefährlich ist das, weil die Beschäftigten entweder wegen des geringen Umfangs ihrer Arbeit oder weil sie weniger verdienen ihren Lebensunterhalt oft nicht finanzieren können. Zudem fallen sie vielfach aus den sozialen Sicherungssystemen heraus oder zahlen nur wenig ein. Dies kann in Bezug auf die Rentenversicherung wiederum das Risiko erhöhen, im Alter in Armut zu leben.

Jana-Sophie Brüntjen


Weiterführende Links

Statistisches Bundesamt, Armutsgefährdungsschwelle nach Haushaltstypen


Armutsbegriff der Weltbank (in Englisch)


Daten des Sozio-ökonomischen Panels zum Vermögen in Deutschland


Ländernotiz Deutschland Pisa-Studie (PDF)


IfW Kiel zum sozialen Aufstieg in Deutschland


Bundeszentrale für politische Bildung zu atypischer Beschäftigung


Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu atypischer Beschäftigung


Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu Bildungsarmut


Statistisches Bundesamt zu Schulart und Schulabschluss der Eltern


Statistisches Bundesamt zu Armutsgefährdungsquote nach Migrationshintergrund

Mehr zum Thema

Zu arm zum Wählen

"Meine Stimme zählt doch eh nicht": Diese Einstellung scheint unter sozial benachteiligten Menschen stärker verbreitet zu sein als in der übrigen Bevölkerung. Starke Unterschiede bei der Wahlbeteiligung haben Folgen für politische Entscheidungen.

» Hier weiterlesen

Expertin: SPD im Stammmilieu nicht mehr glaubhaft

Frankfurt a.M. (epd). Die SPD trägt nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Sigrid Roßteutscher Mitschuld an der niedrigen Wahlbeteiligung sozial schwacher Menschen. Die „Erfolgskinder der ursprünglichen SPD“ hätten sich von ihrer Stammklientel entfernt, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt am Main. Diese sozialdemokratischen Politikerinnen und Politiker seien oftmals studiert und hochgebildet und könnten „nicht mehr glaubhaft wirken, weil sie nicht mehr in dem Milieu leben, in dem sie eigentlich Wahlkampf machen müssten“, sagte sie.

» Hier weiterlesen