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Flüchtlinge

Interview

"Es wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen"




Patrick Dörr
epd-bild/LSVD/Kadatz
Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland erhebt schwere Vorwürfe gegen das Auswärtige Amt. Vertrauliche Informationen aus Asylverfahren würden weitergegeben und dadurch zu einer Gefahr im Heimatland der Betroffenen.

Berlin (epd). Um die Angaben von Geflüchteten über ihre sexuelle Identität zu überprüfen, beauftragen deutsche Behörden bisweilen Anwälte vor Ort mit Umfeldrecherchen. Das führt laut Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) immer wieder zu Zwangsoutings. LSVD-Vorstandsmitglied Patrick Dörr beklagt im Interview eine fehlende Verhältnismäßigkeit beim Anordnen solcher Prüfungen. Mit ihm sprach Sebastian Stoll.

epd sozial: Herr Dörr, der LSVD hat mehrere Fälle von Zwangsoutings von Geflüchteten in ihren Heimatländern dokumentiert. Gibt es bei hier ein Muster?

Patrick Dörr: Es gibt ein solches Muster bei allen Fällen, die wir bisher kennen: Bei lesbischen, schwulen und bisexuellen Asylantragstellerinnen soll überprüft werden, ob ihre Aussage stimmen - und das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration bittet das Auswärtige Amt, ein paar Fragen zu beantworten. Ein entsprechender Katalog geht dann über das Amt an die Botschaften - und diese beauftragen Vertrauensanwälte damit, Informationen einzuholen. Und spätestens an dieser Stelle passieren die Fehler - und eben die Outings.

epd: Sie haben derzeit zwei Fälle recherchiert, bei einem dritten erhärtet sich Ihren Angaben zufolge der Verdacht. Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Dunkelziffer?

Dörr: Das ist natürlich schwer zu beantworten. Aber es spricht momentan nichts dafür, dass es keine weiteren Fälle gibt. In den uns bekannten Fällen hat das Bamf unter den Fragenkatalog den Vermerk gesetzt, dass es keine Einschränkungen gibt für die Einholung der Informationen. Angesichts dessen können wir uns sogar sehr gut vorstellen, dass es weitere Fälle gibt.

epd: Was bedeutet ein Zwangsouting für die Betroffenen?

Dörr: Diese Personen befinden sich zum Zeitpunkt des Outings ja in Deutschland. In einem laufenden Asyl- oder Klageverfahren. Es ist noch gar nicht sichergestellt, dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Für den Fall eines negativen Asylbescheids wird also ihre Gefährdung erhöht. So oder so bedeutet dieses Outing aber, dass der Datenschutz dieser Menschen mit Füßen getreten wird. Vertrauliche Informationen aus dem Asylverfahren werden an Leute im Heimatland gegeben. Das bedeutet in vielen Fällen das Ende der sozialen Existenz. Wir reden hier von Ländern wie Nigeria oder Pakistan, in denen auf homosexuelle Handlungen Strafen bis hin zur Todesstrafe möglich sind.

epd: Was bedeutet ein Zwangsouting für die Menschen im Umfeld einer betroffenen Person?

Dörr: In der Regel hat eine solche Person in ihrem Herkunftsland Umgang mit anderen schwulen, lesbischen, bisexuellen Personen. Auch diese sind dadurch in Gefahr, geoutet zu werden. In zumindest einem der Fälle scheint das auch passiert zu sein. Zudem sind auch Familienangehörige in Gefahr: Unseren Recherchen zufolge ist die Mutter eines Antragstellers durch die Nachforschungen im Heimatland so sehr in Sorge versetzt worden, dass sie in eine andere Stadt gezogen ist.

epd: Sehen Sie ein strukturelles Problem in der Fallbearbeitung durch das Bamf und das Auswärtige Amt?

Dörr: Es wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen - denn wenn in einem Asylverfahren die Glaubhaftigkeit des Vortrags angezweifelt wird, gibt es auch die Möglichkeit, zu einer erneuten Anhörung einzuladen. Nachforschungen über eine Person im Heimatland sind ein extremes Mittel. Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

epd: Und falls sich Nachforschungen im Heimatland in einem Fall als unentbehrlich erweisen sollten?

Dörr: Wir sagen nicht grundsätzlich, dass es diese nicht geben darf. Wir können uns Situationen vorstellen, in denen das sinnvoll ist. Das Problem ist, dass dabei ein Outing passiert: Es ist kaum möglich, Fragen zu einer Person zu stellen und dabei Fragen zu Homo- und Bisexualität unterzubringen. Allein durch den Zusammenhang sind diese Fragen ein faktisches Outing.

Ich muss auch sagen, dass wir viele Fälle von Menschen kennen, wo wir sehr sicher sind, dass sie lesbisch, schwul oder bisexuell sind, von denen wir teilweise die Partner und Partnerinnen auch kennen - und von denen wir dann erfahren, dass ihnen im Asylverfahren nicht geglaubt wird.

epd: Woran liegt das?

Dörr: Das Bamf bräuchte eine noch größere Sensibilität bei der Anhörenden von LSBTI-Fällen. Oft treten da sehr stereotypen Vorstellungen zutage. Es kommt etwa vor, dass einer Person nicht geglaubt wird, dass sie zum Beispiel schwul ist, weil sie eine bestimmte Dating-App nicht kennt - oder weil sie wenige Wochen nach der Ankunft in Deutschland noch keinen Geschlechtsverkehr mit einem Mann hatte. Das berichten uns die Beratungsstellen, teilweise kennen wir auch die Bescheide.

epd: Befürchten Sie Auswirkungen auf Ihre Arbeit mit queeren Geflüchteten, wenn sich diese Praxis nicht ändert?

Dörr: Wir werden den Menschen mitteilen müssen, dass ihre Angaben im Asylverfahren möglicherweise nicht mehr vertraulich behandelt werden. Wenn wir ihnen sagen, dass auf ihre Angaben hin jemand in ihr Heimatdorf gehen und recherchieren könnte, wird das natürlich auch ihr Verhalten im Asylverfahren ändern. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2005 geurteilt, dass ein Vorgehen, wie wir es hier vom Auswärtigen Amt sehen, verfassungswidrig ist. LSBTI-Geflüchtete dürfen in ihren Herkunftsländern nicht durch deutsche Stellen geoutet werden.



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