sozial-Politik

Flüchtlinge

Plötzlich geoutet




Zwei homosexuelle Flüchtlinge aus Syrien in Mainz (Archivbild)
epd-bild/Andrea Enderlein
Mehrere Asylsuchende in Deutschland sind möglicherweise durch Aktivitäten deutscher Behörden in ihren Heimatländern geoutet worden. Das Bekanntwerden ihrer homo- oder bisexuellen Orientierung hat fatale Folgen für Betroffene und ihr Umfeld.

Freiburg, Berlin (epd). Der Tag, an dem Saad Khan (Name geändert) seine Familie verlor, war ein heißer Tag im August 2020. Sein Bruder rief ihn aus Pakistan an und fragte Saad Khan mit reservierter Stimme, ob er diesen und jenen Mann oder jene Frau kenne - und ob er eine Beziehung mit diesen Personen gehabt habe. Ein Mann sei im Dorf gewesen, ein Anwalt aus einer fernen Stadt. Er habe wissen wollen, ob Saad bisexuell sei. „Seit diesem Tag meiden meine Familie und ich den Kontakt miteinander. Ich bin ganz allein“, sagt Saad Khan. Heute lebt er in der Nähe von Freiburg und wartet auf die Anerkennung seines Asylantrags.

Vor-Ort-Recherchen eines Vertrauensanwalts

Ob das Gespräch zwischen Anwalt und Bruder genau so stattfand, wie es aus Saad Khans Schilderungen hervorgeht, lässt sich nicht rekonstruieren. Fest steht aber: Der Anwalt war da. Dem Evangelischen Pressedienst (epd) liegt ein Dokument des Auswärtigen Amtes vor, das von Vor-Ort-Recherchen eines Vertrauensanwalts berichtet. Dieser habe mit dem Vater Khans über die Informationen gesprochen, die sein Sohn im Asylverfahren gegeben habe. Der Anwalt habe überprüft, ob es die Personen, die er genannt habe, tatsächlich gibt - und dann habe er wissen wollen, ob es in der Region eine „homosexuelle Szene“ gebe. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) sagt: Das ist ein Zwangsouting. Es habe mindestens ein weiteres gegeben, wahrscheinlich aber viel, viel mehr. Sollte das zutreffen, verstieße das Auswärtige Amt gegen geltendes Recht, erklärt der Verband.

„Es gibt ein Muster bei allen Fällen, die wir bisher kennen“, sagt Patrick Dörr vom LSVD-Bundesvorstand. Bei lesbischen, schwulen und bisexuellen Geflüchteten wolle das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Angaben zur sexuellen Identität oft überprüfen. Dazu werde ein Fragenkatalog an das Auswärtige Amt übersendet, das über die Botschaften wiederum Vertrauensanwälte mit der Recherche beauftrage. „Und spätestens an dieser Stelle passieren die Fehler - und eben die Outings.“

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Geschichte eines Geflüchteten aus Nigeria, der sich nach seinem mutmaßlichen Zwangsouting an den LSVD gewandt hat: Dieses geschah, wie aus Dokumenten des Auswärtige Amtes hervorgeht, ebenfalls durch einen Vertrauensanwalt der Behörde - der unter anderem die Ehefrau eines Notars fragte, was sie über ein Dokument wisse, das die Homosexualität des Antragsstellers bescheinige.

Kontakt zur Familie abgebrochen

Sieht man sich diese Fälle näher an, wird der unglückliche Verlauf deutlich: Eine Anfrage eines Fallbearbeiters des Bamf landet auf einem Schreibtisch im Auswärtigen Amt, sie wird weitergeleitet an eine deutsche Botschaft, dann führt im Heimatland des Asylbewerbers ein Anwalt einen Auftrag aus. Und das kann schiefgehen. Die Frage lautet nur: Warum das alles?

„Wenn in einem Asylverfahren die Glaubhaftigkeit des Vortrags angezweifelt wird, gibt es die Möglichkeit, zu einer erneuten Anhörung einzuladen“, sagt LSVD-Sprecher Patrick Dörr. Nachforschungen über eine Person im Heimatland seien ein extremes Mittel. „Es wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“ Zudem habe das Bundesverfassungsgericht bereits 2005 geurteilt, dass Menschen nicht durch deutsche Stellen in ihrem Heimatland geoutet werden dürften.

Beim Auswärtigen Amt scheint man sich der Problematik solcher Prüfungen durchaus bewusst zu sein. Man beauftrage in „derartigen Fällen“ nur Anwältinnen und Anwälte, mit denen seit langem eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bestehe, heißt es auf epd-Anfrage. „Diese werden regelmäßig für die besonderen Umstände in solchen Konstellationen sensibilisiert und jährlich ausdrücklich über die geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen belehrt.“ Eine Anfrage an das Bamf, wie oft solche Prüfungen in der Vergangenheit beauftragt wurden, leitete dieses weiter an das übergeordnete Bundesinnenministerium. Dort blieb sie unbeantwortet.

Saad Khan weiß nicht, ob anderen Menschen durch sein Outing Schaden zugefügt wurde, etwa früheren Partnern oder deren Angehörigen - Kontakt zu seiner Familie hat er so gut gar keinen mehr. „Wenn ich nach Pakistan zurück müsste, würde man mich wahrscheinlich umbringen“, sagt er. Er hofft darauf, dass sein Asylantrag anerkannt wird.

Sebastian Stoll


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