Das Coronavirus ist im kriegsgeschüttelten Jemen nach Beobachtung des Intensivmediziners Tankred Stöbe besonders tödlich. Der Berliner Notarzt, der bis vor kurzem für "Ärzte ohne Grenzen" in Aden im Süden des arabischen Landes tätig war, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), im dortigen Covid-19-Behandlungszentrum der Hilfsorganisation seien fast 60 Prozent der aufgenommenen Patientinnen und Patienten gestorben: "Damit sind wir schon fast im Ebola-Bereich."

Viele kamen seinen Worten nach in die Klinik, als sie schon schwer krank waren, und starben schnell. Es gebe kaum Sauerstoffzylinder und erst allmählich Testmöglichkeiten, beschrieb er die Lage. Wegen Armut, Kämpfen oder zerstörter Straßen hätten sich zudem zahlreiche Infizierte gar nicht erst auf den Weg zu den Ärzten gemacht: "Die meisten sind zu Hause erstickt."

"Aktute Katastrophe trifft auf chronische"

Stöbe war bereits zum zweiten Mal im Jemen und sollte zunächst Covid-19-Patienten behandeln, hatte aber nach Abklingen der ersten Welle als medizinischer Direktor im August und September in einem Unfallkrankenhaus auch Schuss- oder Explosionsverletzte und Unfallopfer versorgt. "Wegen der Pandemie trifft eine akute Katastrophe auf eine chronische", sagte Stöbe, der bis 2015 acht Jahre lang Präsident des deutschen Zweigs von "Ärzte ohne Grenzen" war.

Im Gegensatz zum Bürgerkrieg sei das Coronavirus nicht sichtbar oder hörbar, aber es gebe keinerlei Möglichkeit zur Vorbereitung, weshalb der Erreger sich rasant verbreiten könne: "Es ist ein gescheiterter Staat, da gibt es keine Maßnahmen, um die Kurve flach zu halten." Eine weitere Covid-19-Welle werde zu ähnlich katastrophalen Zuständen führen wie die erste, zeigte er sich überzeugt.

Im Bürgerkrieg im Jemen wurden seit 2015 mehr als 100.000 Menschen getötet. Friedensbemühungen der Vereinten Nationen blieben bislang ohne Erfolg. Zuletzt wurden im Jemen offiziell mehr als 2.000 Corona-Infektionen und rund 600 Corona-Tote gemeldet. Die Dunkelziffer ist vermutlich weitaus höher.