Die Bäume knarzen im Wind. Hoch oben in den Kronen, in 20 oder 25 Metern Höhe, schwanken die Baumhäuser, hin und her. Carl (Name geändert) lebt seit einem Monat in einem der Baumhäuser im Dannenröder Forst in Mittelhessen. "Ich habe von der Aktion gehört und Widerstandspflicht gespürt", sagt er. Der Wald soll bald gerodet werden für den Weiterbau der Autobahn 49 zwischen Kassel und Gießen.

Viele Wege im Wald sind mit Barrikaden aus Ästen und Stämmen versperrt. Überall hängen Banner: "Wir sind stark, weil DU da bist" steht auf einem mit bunten Händen bedruckten Stück Stoff. Junge Leute sind auf den Wegen unterwegs, dick eingepackt in Regenklamotten, einige tragen Schalen mit Müsli und Apfelstücken vorbei.

Sie lebten "freegan", erklärt Carl: vegan und von dem Essen, was irgendwo übrig bleibt. Auch die Klamotten sind oft gespendet. "Die Leute misten ihre Keller aus." Er lebe hier wie in einer Blase: Herrschafts- und eigentumsfrei, gegenseitiger Respekt, gendergerechte Sprache, "hohes ökologisches Bewusstsein". Fähigkeiten würden geteilt: "Man fragt rum, irgendjemand weiß, wie man etwas repariert."

"Räumungen verzögern"

Die Baumhäuser, Hütten und Zelte sind über den ganzen Wald verteilt. An einem Ort hat sich eine Art kleines Dorf gebildet: Ein Baumhaus dient zum Schlafen, eines als Küche, eines als Ruheraum und eines ist die Toilette. Die Häuser sind durch ein Seilsystem verbunden. Pello hat im Hambacher Wald, wo Umweltschützer gegen den Braunkohletagebau kämpfen, das Klettern gelernt. Er lebte dort zwei Monate lang, baute an Baumhäusern mit und machte sie winterfest. "Seitdem bin ich klimapolitisch aktiv." Pello ist sein Aktivisten-Name. "Die Situation fühlt sich gerade stärkend an. Aus Aktivisten-Sicht läuft viel gut. Wir schaffen es, die Räumungen zu verzögern."

Seit den 1960er Jahren gibt es Pläne, die A 49 zu bauen. Trassen wurden entworfen, diskutiert, vor Gerichten verhandelt, verworfen. Seit 1994 ist das erste Teilstück hinter Kassel fertig, seit Jahren endet die Autobahn im Nirgendwo zwischen Kassel und Gießen. Im Juni wies das Bundesverwaltungsgericht eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) ab. Am 1. Oktober begann die Rodungssaison im Wald. Jetzt wird gebaut.

In den benachbarten Wäldern, im Herrenwald und im Maulbacher Wald, hat eine Baufirma schon mit den Rodungen begonnen, unter massivem Polizeischutz. Auch dort lebten einige Aktivistinnen und Aktivisten in Baumhäusern, die Polizei brachte sie aus dem Wald heraus. "Wir reden viel darüber, bereiten uns emotional darauf vor und tauschen uns mit den Leuten aus, die schon Räumungen erlebt haben", sagt Carl.

Mischwald mit alten Bäumen

Sie sei in einer Industriestadt aufgewachsen, berichtet Katharina Jacob. Sie wisse, was es heißt, chronisch krank zu sein. "Deshalb setze ich mich für den Naturschutz ein." Zu Hause päppelt die 54-Jährige Fledermäuse auf, jetzt verbringt sie ihre Herbstferien im Dannenröder Wald. Es breche ihr das Herz, wenn sie an die Tiere denke, die den Rodungen zum Opfer fallen: die Fledermäuse, die ihre Höhlen suchen, die Füchse, die in ihren Bauten erdrückt werden.

Befürworter der Autobahn verweisen unter anderem auf die 750 Hektar Ausgleichsflächen, die als Ersatz für die 85 Hektar gerodeten Wald entstehen. Aber der Dannenröder Forst ist ein Mischwald mit teilweise uralten Buchen, Eichen, Fichten und Birken und nicht so einfach zu ersetzen. "Der Dannenröder Wald wird seit Jahrzehnten nachhaltig bewirtschaftet", sagt Linda vom Bündnis "Wald statt Asphalt". "Er wird gerodet für ein Projekt, das dem Individual- und dem Warenverkehr dient." Den Waldbesetzern geht es um mehr als um einen Wald: um eine Verkehrswende in Zeiten von Klimakrise und Artensterben.

Am Ortsrand von Dannenrod hat die evangelische Kirche in einer Gaststätte einen Ruheraum für die Aktivistinnen und Aktivisten eingerichtet. Demnächst soll dort auch eine Ärztin gelegentliche Sprechstunden abhalten, berichtet der Referent für Bildung und Ökumene, Ralf Müller. Vor der kleinen Kirche finden Friedensandachten statt. Wann im Dannenröder Wald gerodet wird, ist unklar. "Ich will später sagen können, dass ich alles versucht habe", sagt Carl. Er wird bleiben, bis die Bagger rollen.