

Kassel (epd). Pflegebedürftige Bewohner von Pflege-Wohngemeinschaften dürfen bei einer ambulanten Behandlungspflege die gesetzlichen Krankenkassen zur Kasse bitten. Die Wohngemeinschaften sind in der Regel nicht mit stationären Einrichtungen vergleichbar, in denen auch einfachste Behandlungsmaßnahmen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege vom Personal unentgeltlich erbracht werden können, urteilte am 26. März das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Selbst wenn die Pflege-WG-Bewohner bereits ambulante Pflegeleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung erhalten, könne die Krankenkasse zusätzlich für die ärztlich verordnete häusliche Behandlungspflege verpflichtet sein.
Nach den gesetzlichen Regelungen erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder an einem anderen "geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten ... als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist". In stationären Pflegeeinrichtungen besteht in der Regel kein Anspruch.
In Wohnheimen für behinderte Menschen ist dem Personal aber zuzumuten, zumindest einfachste Behandlungspflegemaßnahmen selbst durchzuführen, ohne dass gleich die Krankenkasse dies finanzieren muss, entschied das BSG in einem Urteil vom 25. Februar 2015. Dazu könne etwa die Medikamentengabe, das Blutdruckmessen oder das Anziehen von Thrombosestrümpfen gehören.
Im aktuellen Fall ging es um eine demenzkranke, mittlerweile verstorbene Frau, aus dem Raum Landshut, die mit elf weiteren Demenzkranken in einer Pflege-WG lebte. Bei diesen betreuten Wohngruppen handelt es sich um eine Zwischenform zwischen eigener Wohnung und Heim. Pflegebedürftige Menschen sollen so mehr Wahlmöglichkeiten haben, wo und wie sie selbstbestimmt Pflege erhalten können.
Hier hatte die Klägerin für das Wohnen in einer Pflege-WG einen Pflegevertrag mit einem ambulanten Pflegedienst abgeschlossen. Laut Vertrag mit dem Pflegedienst war die Erbringung einfachster Behandlungspflege wie etwa die Medikamentengabe ausgeschlossen. Hintergrund ist, dass die von der sozialen Pflegeversicherung gewährte häusliche Pflegehilfe gedeckelt ist, so dass es zu Eigenanteilen kommen kann. Für die von der Krankenkasse zu bezahlende häusliche Krankenpflege gilt dies nicht.
Als die Frau wegen ihrer Demenzerkrankung nicht fähig war, ihre Medikamente dreimal täglich einzunehmen, verordnete ihr Arzt diese Behandlungspflege auf Kosten der Krankenkasse. Die Bewohner der Pflege-WG hatten hierfür auch Vorsorge getroffen. Sie hatten ihr Zusammenleben so organisiert, dass eine Pflegekraft rund um die Uhr anwesend war und auch die häusliche Krankenpflege erbringt, allerdings auf Kosten der Krankenkasse.
Die AOK Bayern lehnte dies ab. Die Pflege-WG sei angesichts der 24-Stunden-Betreuung wie eine stationäre Einrichtung anzusehen. Das Personal könne problemlos unentgeltlich die einfachste Behandlungspflege, hier die Medikamentengabe, sicherstellen. Die Klägerin hätte im Pflegevertrag die Durchführung der Behandlungspflege auch nicht ausschließen dürfen.
Das BSG urteilte, dass die Krankenkasse die Medikamentengabe bezahlen muss, konkret 633 Euro. Eine Pflege-WG sei keine stationäre Einrichtung, in der das Personal einfachste Behandlungsmaßnahmen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege unentgeltlich übernehmen muss. Auch sei es möglich, dass Pflegebedürftige Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und der häuslichen Krankenpflege nebeneinander beziehen. Das habe auch der Gesetzgeber kürzlich klargestellt. Dies ändere sich auch dann nicht, wenn in einer Wohngruppe mehrere Pflegeversicherte Leistungen der häuslichen Pflegehilfe gemeinsam in Anspruch nehmen.
Das Gesetz lasse ein solches "Poolen" von Leistungsansprüchen ausdrücklich auch mit dem Ziel zu, den Leistungsanteil der Pflegeversicherung gering zu halten. Die Krankenkasse sei auch leistungspflichtig, wenn die Pflege-WG-Bewohner die ambulante Pflegeversorgung gemeinsam organisieren, um wirtschaftliche Vorteile erlangen zu können.
Es sei zudem zulässig, dass die Behandlungspflege - wie die Medikamentengabe - im Pflege-Vertrag ausgeschlossen wird, so dass die Krankenkasse diese voll übernehmen muss. Anderes könne nur gelten, wenn ein Anbieter einer Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Pflegeleistungen anbietet, die dem einer stationären Versorgung weitgehend entsprechen. Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen.
Az.: B 3 KR 14/19 R (Pflege-WG
Az.: B 3 KR 11/14 R (Wohnheim)